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 | 18.03.2021

Was ist eigentlich Nachhaltigkeitsberatung? Und warum brauchen wir das? - Mythen aufgedeckt

Nachhaltigkeitsberatung_gruene Tuer

 

Gastbeitrag unserer ehemaligen Praktikantin Klaudia Guzij

 

Viele Leute haben mich gefragt, was ich in meinem letzten Praktikum eigentlich gemacht habe, während ich bei fors.earth - einer Nachhaltigkeitsberatung - gearbeitet habe.

 

"Was macht denn eine Nachhaltigkeitsberaterin?" - "Ist das nicht einfach nur schöne Folien machen, aber in grün?" - "Warum brauchen wir überhaupt Nachhaltigkeitsberatung?"

 

Mit diesem Artikel möchte ich einige Mythen aufdecken, auf die ich während meiner Zeit in der Nachhaltigkeitsberatung gestoßen bin. Ich hoffe, dass dieser Artikel einigen Unternehmen hilft, ihren strategischen Ansatz zur Einbeziehung von Nachhaltigkeit in ihre Unternehmensstrategie zu überdenken; und Verbrauchern bei der Identifizierung von Firmen, die das Konzept der Nachhaltigkeit ernst nehmen.

 

Mythos 1: "Wir brauchen keine Nachhaltigkeitsberater"

Die Dringlichkeit, die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen und einen Übergang zu einer kohlenstoffarmen, nachhaltigen Wirtschaft zu schaffen, nimmt zu. Und es wird oft unterschätzt, dass man tatsächlich einen Mindset-Shift und damit eine strategische Herangehensweise braucht, um nachhaltig etwas zu bewirken. Nachhaltigkeitsberatung ist eigentlich eine Menge Strategieberatung.

Heutzutage wird Nachhaltigkeit oft als "Trend" fehlinterpretiert. Unternehmen denken, sie müssten nur "auf den Trendzug aufspringen", um ihre Reputation zu schützen. Und was ist das Ergebnis? Immer mehr Unternehmen kommunizieren ihr "Netto-Null"-Klimaneutralitätsversprechen, was eigentlich toll ist - und im ersten Moment auch cool klingt. Aber eine aktuelle Umfrage hat ergeben, dass nur 1 von 10 Unternehmen ihre Netto-Null-Emissionen tatsächlich mit wissenschaftlich fundierten Zielen untermauert hat. Die Unternehmen kommunizieren ihre "Nachhaltigkeitsmaßnahmen", um Goodwill und/oder Reputationsvorteile zu erzielen, "haben aber noch nicht die schwierigen Schritte unternommen, um Geschäftsmodelle umzustrukturieren und Lieferketten zu dekarbonisieren." Was ist das langfristige Ergebnis? Wir könnten in ein Szenario geraten, in dem viele Unternehmen erkennen, dass sie ihre Netto-Null-Ziele nicht erreichen können, weil ihre Aussage keinen ernsthaften, strategischen und wissenschaftlich fundierten Ansatz hatte.

Für viele Unternehmen ist Wachstum das ultimative Ziel in ihrer Strategieentwicklung. Doch nur wenige Unternehmen überdenken tatsächlich das Konzept des kapitalistischen Wachstums, indem sie beginnen, unsere planetarischen Grenzen zu respektieren. Es muss eine ernsthafte Umkehr stattfinden, wie Konsummuster (Ressourcen, Produkte) nachhaltig umgestaltet werden können. Leider trauen sich gerade deutsche Unternehmen nicht, grundlegende Prozesse zu hinterfragen und möglicherweise auf den Kopf zu stellen. Und hier kommt die Nachhaltigkeitsberatung ins Spiel. Ich habe gelernt, dass ein Nachhaltigkeitsberater als unabhängige Instanz hilft, die richtigen Stakeholder an einen Tisch zu bringen, um Prozesse, die Zusammenarbeit und letztlich die Vision eines Unternehmens neu zu denken. Und das kann nicht alles von einem Tag auf den anderen erreicht werden. Es erfordert viel Change Management und die Überzeugung vieler Instanzen auf dem Weg dorthin.

Manche Unternehmen nehmen diesen strategischen Ansatz nicht ernst und haben nicht das Ziel, langfristig nachhaltig zu sein. Da sie die aktuelle Situation als "Trend" fehlinterpretieren, stürzen sie sich in eine Menge (Mis)Kommunikation (auch bekannt als Greenwashing, auf das ich hier nicht eingehen werde, weil ich hoffe, dass die meisten von Ihnen es schon heute erkennen können).

Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Wir sehen derzeit einen großen Trend, einen Umsatzanteil in CO2-Kompensationsprojekte zu investieren. Ich stoße auf eine große Anzahl von Unternehmen, bei denen es mir so vorkommt, als würden sie nur das Problem unter lauter Bäumen vergraben und sagen:

 

"Wir kompensieren für jedes Produkt, das Sie kaufen".

 

Aber was viele nicht verstehen, ist, dass das Konzept der Kompensation nur als letzter Ausweg gedacht ist, um nicht vermeidbare Emissionen zu kompensieren. Und zu verstehen, welche Emissionen tatsächlich existieren und welche davon vermieden werden können, ist ein langer Prozess. Für das Verfolgen, Reduzieren und Kompensieren gibt es eine Menge toller Software-Tools (wie Planetly oder PlanA.Earth). Nachhaltigkeitsberater sind diejenigen, die an den Schritten arbeiten, bevor solche Tools zum Einsatz kommen: Sie arbeiten daran, die Denkweise zu verändern und die strategische Vision eines Unternehmens zu verfeinern. Bevor mit Plänen zur Emissionsreduzierung begonnen wird, ist es wichtig, den Managern klar zu machen, dass manchmal Prozesse neu gestaltet werden müssen, um langfristig erfolgreich zu sein.

 

Mythos 2: "Nachhaltigkeit kann alles bedeuten!"

Dies ist wahr. Es kann alles bedeuten. Das Problem dabei ist, dass "Nachhaltigkeit" kein geschützter Begriff ist. Daher kann er auf viele Arten (falsch) interpretiert werden.

Im vorigen Abschnitt habe ich mich auf die ökologische Nachhaltigkeit bezogen, da sie in unserer aktuellen Situation eine große Bedeutung hat. Allerdings muss jedes Unternehmen seine spezifische Differenzierung vornehmen, um zu sehen, in welchen Bereichen es den größten Einfluss ausüben kann. Und bitte, verstehen Sie mich hier nicht falsch. Ich möchte klarstellen, dass bei der heutigen Dringlichkeit jeder Akteur in unserer Wirtschaft in irgendeiner Weise zur Lösung der Klimakrise beitragen muss. Aber Nachhaltigkeit an sich kann und sollte viel mehr bedeuten.

Nehmen wir einmal Coca Cola als Beispiel: Dieses Unternehmen kann einen tollen Klimaschutzplan haben. Das macht das Unternehmen aber nicht nachhaltig, denn sein größtes gesellschaftliches Problem sind Fettleibigkeit und Diabetes bei Kindern. Dieses Beispiel zeigt uns, dass Nachhaltigkeit relativ ist und dass es wichtig ist, bei der Definition einer Nachhaltigkeitsstrategie zu verstehen, welches Thema die größte strategische Relevanz hat.

 

" Aber Unternehmen XY hat einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht, die müssen doch nachhaltig sein! "

 

Das bedeutet letztlich auch, dass ein Unternehmen nicht automatisch nachhaltig ist, wenn es einen sogenannten "Nachhaltigkeitsbericht" veröffentlicht. Eine typische Wesentlichkeitsanalyse hat keinen Wert, wenn das Unternehmen die Ergebnisse der Analyse nicht aufgreift und beginnt, daran zu arbeiten. Bei fors.earth habe ich kennengelernt, was es bedeutet, für Kunden zu arbeiten, die diese Themen wirklich erkennen und "es ernst meinen".

 

So sieht es aus, wenn man erfolgreich mit einer Nachhaltigkeitsvision im Hinterkopf handelt:

Veramaris

Veramaris hat eine Innovation auf den Markt gebracht, die im Kampf um den Erhalt der natürlichen Fischbestände entscheidend sein kann. Öl aus natürlichen Meeresalgen ersetzt Fischöl als Quelle für Omega-3-Fettsäuren im Futter für Zuchtlachse. Und fors.earth hat diese Innovation bis in das Supermarktregal begleitet.

Neben Veramaris habe ich auch tolle Erfahrungen mit Kunden aus dem Lebensmitteleinzelhandel gemacht. Bei Kaufland zum Beispiel war ich Teil einer Nachhaltigkeitsbewertung auf europäischer Ebene und habe gelernt, was Nachhaltigkeit für verschiedene Stakeholder (Endverbraucher, Lieferanten, Mitarbeiter und Politiker) bedeutet. Denn Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur, umweltfreundlich in der Lebensmittelproduktion zu sein, sondern auch positive Auswirkungen auf unsere sozialen Standards zu haben oder darauf, was wir überhaupt konsumieren (Kaufland ist eine der ersten Einzelhandelsketten, die den Zuckergehalt in ihren Eigenmarkenprodukten um 30 % reduziert hat - was einen großen Einfluss auf die Gesundheit unserer Gesellschaft hat).

 

Mythos 3: "Das ist nur etwas für Unternehmen mit CSR-Budget"

Das Interessanteste, was ich bei fors.earth gelernt habe, ist, dass Nachhaltigkeitsberatung viele Dimensionen hat. Man arbeitet mit Unternehmen aus verschiedenen Branchen, wie z.B. der Lebensmittel-, Automobil-, Banken- oder Energiebranche. Man arbeitet auch mit Verbänden, die eine ganz andere Dimension von Nachhaltigkeitsherausforderungen haben. Und schließlich, und das war für mich das Interessanteste, arbeitet fors.earth auch mit Startups zusammen.

Viele Startups kommunizieren vom ersten Tag an einen klaren Anspruch an Nachhaltigkeit. Das liegt daran, dass die Gründer die intrinsische Notwendigkeit spüren und die Sinnhaftigkeit eines nachhaltigen Geschäftsmodells sehen. Sie erleben aber auch externe Erwartungen von Investoren bis hin zu Kunden. Um dieses Spannungsfeld zwischen eigenem Nachhaltigkeitsanspruch und Stakeholder-Erwartungen zu managen, unterstützt fors.earth Startups auf ihrem Weg. Es ist wichtig, positive und potenziell negative Ergebnisse des unternehmerischen Handelns bereits in einem frühen Venture-Stadium zu identifizieren. Ich habe einen tollen Artikel gefunden, der wichtige Aspekte der Nachhaltigkeit von Startups zusammenfasst und den Sie lesen sollten, wenn Sie in einem Startup oder mit Venture Capital arbeiten.

 

Ein Praktikum voller vielfältiger und toller Erfahrungen

Abschließend kann ich nur empfehlen, einen Blick in die Nachhaltigkeitsberatung zu werfen, wenn man die Chance dazu hat. Ich habe verstanden, dass wir noch einen laaaangen Weg vor uns haben, um die Sustainable Development Goals (SDGs) zu erreichen. Und wir können uns nicht nur auf die Politik verlassen. Wir müssen selbst aktiv werden und unsere Wirtschaft dabei unterstützen, den Wandel zum Besseren zu schaffen. Entweder mit unserem eigenen Geschäft, unserem individuellen Konsumverhalten, oder indem wir andere beraten, es besser zu machen.

 

P.S: Dies ist keine Werbung für fors.earth. Ich hatte nur eine wirklich tolle Erfahrung in meinem Praktikum und war beeindruckt von der Wirkung, die ein Team von weniger als 20 Leuten erreichen kann. Wenn Sie also weitere Fragen haben oder sich für ein Praktikum in der Nachhaltigkeitsberatung interessieren, können Sie mich gerne ansprechen, ich freue mich über einen Kontakt!

[Anm.d.Red: Zu Klaudias Originalartikel (auf Englisch) geht es hier]