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 | 26.04.2021

Von Maß, Maß halten und Nachhaltigkeit

Ein Beitrag unserer Senior Expertin für Ernährung Prof. em. Dr. Hannelore Daniel

 

Ernährung Maß Nachhaltigkeit

Die mittlerweile nahezu inflationäre Verwendung von Nachhaltigkeit als normativem Zielbegriff ist einerseits zwar positiv, weil Bewusstsein-schaffend, andererseits ist der unreflektierte Ge- und manchmal auch Missbrauch ebenso erkennbar. In vielen Fällen wird es dem Konsumenten bei der Auslobung der Nachhaltigkeit eines Produktes vorenthalten, auf was die Aussage gründet. Darüber hinaus sind weder der Kriterienkatalog noch die Bewertungsskala einzelner Kriterien der Nachhaltigkeit verbindlich definiert und für Nicht-Experten ohnehin kaum nachvollziehbar. Das macht Nachhaltigkeitsansprüche eines Produktes zur reinen Vertrauenssache.  Und dann – wie eigentlich immer – ist es eben auch nicht so einfach, wie man es gerne hätte. Betrachten wir dazu einmal beispielhaft den Warenkorb der Lebensmittel und die daraus resultierenden klimawirksamen Emissionen (Greenhouse gas emissions; GHGE).

 

Was ist das Maß der Dinge?

 

Wer hat definiert, dass man die Bewertungskriterien - wie GHGE - auf das Gewicht der Ware beziehen muss? Lebensmittel, die viel Wasser enthalten, sind somit meist häufig diejenigen, die pro Gewichtseinheit – nehmen wir 100 g – die geringsten GHGE aufweisen, auch wenn sie beim Transport etwas mehr zu Buche schlagen. Eine umfassende Analyse von ca. 480 Lebensmitteln eines Lebensmitteleinzelhändlers in Frankreich mit LCA-Analysen sowie Verzehrsangaben und Produktkennzahlen aus öffentlichen Datenbanken kommt zu dem Schluss, dass in allen Lebensmittelkategorien Obst und Gemüse – verarbeitet und/oder gefroren – die geringsten GHGE pro 100 g aufweisen, gefolgt von Süßwaren, gesüßten Getränken und Zucker (1). Bemerkenswerterweise hat der Haushaltszucker wie auch schon in anderen Studien ermittelt, pro 100 g die geringsten GHGE aller Lebensmittel. Natürlich haben Milch und Milchprodukte eine wesentlich höhere Emissionsrate und Fleisch bzw. Fleischprodukte führen nochmals zu höheren Raten. Hier gilt es aber die Tierart zu berücksichtigen. Die Liste der Fleischarten mit den höchsten GHGE wird angeführt von Rind (hier gibt es dann noch Unterschiede zwischen Milchkuh und männlichem Tier) gefolgt von Schwein und Geflügel mit den geringsten Raten.

Allen nationalen Empfehlungen zur Ernährung und Lebensmittelzufuhr basieren auf der bedarfsdeckenden täglichen Energiemenge in kcal und den jeweiligen prozentualen Anteilen der energieliefernden Nährstoffe (% der Energie in Form von Kohlenhydraten, Protein, Fett) und nicht auf Gramm-Angaben. Betrachten wir daher die oben genannten Lebensmittelgruppen auf der Grundlage ihres Kaloriengehaltes (pro 100 kcal verzehrfertiges Lebensmittel) ergibt sich ein recht überraschendes Bild. Nun sind plötzlich die prozessierten Obst- und Gemüseprodukte (Konserven, Convenience Produkte, Tiefkühlware) diejenigen, mit den höchsten GHGE und rangieren so noch vor den Fleisch- und Milchprodukten. Bei Bezug auf den Kaloriengehalt steigt ihre Emissionsrate etwa um den Faktor 4 an, vor allem aufgrund von Transport und Lagerung. Die geringsten GHGE liefern weiterhin, auch bei Bezug auf die Nahrungsenergie, die Süßwaren. Nun wird seitens der FAO (Food and Agricultural Organisation der WHO) bei der Klassifizierung der „nachhaltigsten Ernährungsweisen“ auch explizit Gesundheit und Wohlbefinden als Kriterium eingeschlossen. Daraus resultiert dann in den Empfehlungen bei Süßwaren die geringe Verzehrmenge. Werden also die Kaloriengehalte als Bezugsgrundlage verwendet, ergeben sich für die Ernährungsempfehlungen aller Fachgesellschaften und die entsprechenden Anteile einzelner Lebensmittelgruppen im Warenkorb bemerkenswerte Realitäten, die mit der öffentlichen Wahrnehmung kontrastieren. Diese wird gegenwärtig von der Meinung geprägt, dass man nur den Konsum tierischer Produkte reduzieren oder besser einstellen muss und schon habe man die „nachhaltigste Kostform“. Dem ist jedoch nur dann entsprochen, wenn der Ersatz der tierischen Produkte nicht kalorisch kompensiert wird. Werden die wegfallenden Kalorien dagegen isokalorisch durch prozessierte Obst- und Gemüseprodukte oder pflanzenbasierte Substitute ersetzt, dann wird entweder kein Nettoeffekt erreicht oder es resultiert gar – je nach Verarbeitungsgrad - eine höhere Menge an GHGE (2). Zwar gibt es auch andere gute Gründe den Konsum von tierischen Produkten zu reduzieren (Ethik und Tierwohl, Gesundheit), die CO2-Emissionen sind scheinbar nicht das Maß aller Dinge.

 

Vom Maß zum „Maß halten“

 

Auf der Grundlage von Verzehrangaben von 1918 Konsumenten und den berechneten GHGE von 73 der am häufigsten verzehrten Lebensmittel ergab sich eine enge Korrelation zwischen der täglichen aufgenommenen Kalorienmenge und den CO2-Emissionen (2), die im Mittel aller Konsumenten (mit starker Varianz) bei 4170 g CO2-Äquivalente pro Tag betrug (siehe Abbildung). Die Ernährung in ihrer Gesamtheit verursacht somit im Jahr CO2-Emissionen die einem Flug (Hin und Rückflug in Economy-Klasse) von Hamburg nach Dubai entsprechen. Das liefert kein Argument gegen Veränderungen im individuellen Konsumverhalten bei Lebensmitteln, es soll nur die Dimensionalität verdeutlichen.

 

Kalorien GHG Emissionen

 

Leider führt auch der Konsum regionaler Produkte nicht a priori zu einer verbesserten Bilanz bei den GHGE; schon gar nicht wenn der Einkauf mit dem Auto erledigt wird und weiter als 5 Km führt (3, 4). Nur wenn bevorzugt saisonale Produkte gekauft werden, lässt sich die CO2-Last deutlich reduzieren.

Aus den vorgelegten Daten der hier zitierten wissenschaftlichen Studien lässt sich somit ableiten, dass eine höhere Nachhaltigkeit der Ernährung – hier an GHGE beurteilt - nur mit „Maß halten“, d.h., einer Reduktion der Kalorienzufuhr erreicht werden kann. Dies wird angesichts der Übergewichtsproblematik ohnehin empfohlen und sollte in ein WENIGER ist MEHR auch in die Nachhaltigkeitsdebatte einfließen. Man ist geneigt, der Suffizienz bei allen Bemühungen um die Nachhaltigkeit die höchste Priorität zu geben.

 

Referenzen

  1. Drewnowski A. et al. (2015) Energy and nutrient density of foods in relation to their carbon footprint. Am J Clin Nutr 101:184-91.
  2. Vieux F. et al. (2012) Greenhouse gas emissions of self-selected individual diets in France: Changing the diet structure or consuming less? Ecological Economics 75, 91-101
  3. Edwards-Jones G. (2010) Does eating local food reduce the environmental impact of food production and enhance consumer health? Proc. Nutr. Soc. 69, 582-591
  4. http://www.ifeu.de/ fileadmin/uploads/landwirtschaft/pdf/IFEU_Umwelt_Regionale_Lebensmittel_2012_final_handout.pdf

 

Kontakt

Hannelore Daniel

www.hdaniel.de

contact@hdaniel.de