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 | 09.03.2022

Wie geht es dem Meer?

 

 

Auszüge aus dem float originals Podcast mit Nikolaus Gelpke. Er verlegt seit 23 Jahren mit seinem Team die Zeitschrift mare, ist Initiator und Herausgeber des World Ocean Review, Patron der Ocean Science and Research Foundation, Präsident des International Ocean Institute sowie Schirmherr von GAME am GEOMAR in Kiel. Kaum ein anderer kennt Kultur, Geschichte und Zustand der Meere so gut wie er. Im Interview mit float originals fasst er fantastisch zusammen, wie es unserem Meer geht.


Warum behandeln wir das Meer so schlecht?

„Das Meer zeigt sich nicht so. Das Meer wirkt immer sauber, freundlich, im guten Zustand. Wenn man durch den Wald geht, sieht man: Da ist ein Baum gefällt oder der Baum ist krank, hat Borkenkäfer-Probleme oder so. Beim Meer sieht man das eigentlich nur dann, wenn es wirklich ’ne schwere Vermüllung gibt – an der Küste z. B. Ansonsten sieht man dem Meer nicht an, wie es ihm geht. (...) Das Meer macht immer gute Miene zum bösen Spiel – und das sind wir nicht gewohnt. Wir sehen sonst zerstörte Häuser, verschmutzte Landschaft, abgestorbene Bäume. Darauf sind wir gepeilt und darauf sind wir trainiert. Und wenn wir das nicht sehen, denken wir automatisch: Dem geht’s gut.“

 

Welche zwei Faktoren beim Klimawandel beeinflussen das Meer stark?


„Das ist die Versauerung und die Erwärmung. Bei der Versauerung ist es sehr komplex (…) drum wird es in den Medien nicht oft dargestellt, wie z. B. Plastikmüll oder Ölverschmutzung. Das kann man sehr schnell darstellen, fotografieren, jeder versteht das. Jeder weiß, dass Müll und verklebte Vögel nicht ins Meer gehören. Das ist alles leicht verständlich.
Wenn ich jetzt aber anfange über PH-Werte und Kohlenstoffkreisläufe zu reden, hören schon ganz viele Leute nicht mehr zu. (…) Ganz einfach gesagt, nehmen die Meere ca. 30 % unseres CO2, das wir produzieren, auf – also viel mehr als die Urwälder oder die Wiesen aufnehmen. 30 % wird von den Meeren genommen und dort abgelagert, abgespeichert. Wenn man jetzt permanent saures Material in ein Medium einführt, dann wird es irgendwann selber sauer. D. h. der PH-Wert des Meeres verändert sich und wenn man einen PH-Wert verändert, nimmt man Einfluss auf die Wesen, die im Meer leben. Wir wissen es alle vom Bad scheuern: Wir nehmen Essig, um den Kalk wegzumachen, d. h.: Säure löst Kalk. Wenn man es jetzt ganz simpel betrachtet, kann man sagen eine Verminderung des PH-Werts führt dazu, dass sich Kalk auflöst. Nun passiert sehr viel Leben in den Meeren aufgrund von Kalk: Korallen-Riffe haben Kalk-Skelette, Muscheln, viele Organismen, die auf dem Boden leben aber eben auch einzellige Algen, z. B. Coccolithophoriden. Die sind nicht so populär wie Wale und Eisbären ABER sehr viel wichtiger für’s Ökö-System. Coccolithophoriden sind Nanoplankton, das man nur unter einem sehr guten Mikroskop sehen kann, und die haben eine Kalkschale. Und wenn diese Kalkschale sich jetzt auflöst oder die Reproduktionsraten von Coccolithophoriden runtergehen, dann verändert man die Grundlagen der Nahrungskette. Denn eine der wichtigsten Grundlagen der Nahrungskette beginnt bei den Coccolithophoriden, also bei den ganz kleinen Phytoplanktonarten. Das sind Pflanzen, die aus CO2 und Licht, dann letztlich Biomasse machen, also die Grundlage des Lebens im Meer. Und Coccolithophoriden sind letztendlich auch verantwortlich für die Wolkenbildung auf dem Meer. Durch diese Veränderung des PH-Werts verändern wir tatsächlich sehr viel, weil sich der Kalk vieler Organismen auflöst und das verändert das Ökosystem, weil durch die Organismen, die dann absterben, dann andere kommen, die dann in diese biologische Nische gehen. Das System verändert sich.

Das zweite ist die Erwärmung, das ist ein bisschen einfacher zu verstehen.
Da ist ein ganz bekanntes Beispiel das Great Barrier Reef, das größte zusammenhängende Riff der Welt, und ist inzwischen – Achtung festhalten – zu 50 % tot. (...) Korallenbleiche aufgrund von erhöhter Temperatur. Korallen haben ein symbiotisches Verhältnis zu kleinen Zooxanthellen, die leben als symbiotische Partner in den Korallen und die Korallentiere sind abhängig von diesen Zooxanthellen. Das sind auch kleine Algen, die Photosynthese betreiben. Und die produzieren ein Gift, das die Koralle quasi als negativ wahrnimmt und die stößt dann die Zooxanthellen ab und bringt sich damit selber um. Das heißt die Korallen sterben wirklich aufgrund der Erwärmung. Wahrscheinlich nicht wieder rettbar. Das ist ein Einfluss.
Ein anderer Einfluss ist das Abschmelzen der Gletscher. (...) Ich bin oft in der Arktis unterwegs. Da sieht man auch, wie die Gletscher zurückgehen in Grönland und Spitzbergen. Wenn man dann sieht, wie stark das größte Eisschild der Welt – nämlich der Grönland-Eispanzer abschmilzt, dann kann man sich vorstellen z. B., wie dort das Meer versüßt – das ist ja Süßwasser, das da abschmilzt. Wenn jetzt z. B. der Golfstrom da oben noch mehr erwärmt und die Arktis gleichzeitig versüßt – warmes, süßes Wasser ist leicht, der Golfstrom-Antrieb aber eine Pumpe von schwerem, kaltem Salzwasser, was in der Arktis, nördlich der Barentssee in die Tiefe herabfließt – wird der Motor gestoppt oder schwächer. Der Golfstrom kann versiegen oder wird wahrscheinlich sehr stark abgeschwächt – das zeigen die Modellierungen jetzt schon. Wenn der Golfstrom aber aufhört zu fließen, kann man sich vorstellen, wie es hier dann aussieht: Wir verdanken dem Golfstrom natürlich jetzt nicht nur die Palmen in Südirland, sondern wir verdanken ihm auch einen warmen Winter hier im Vergleich zur gleichen Höhe drüben in Kanada (...).  
Ein anderes Beispiel: Die Eisdecke in der Arktis wird so dünn, dass da mehr Licht durch das Eis kommt im Frühjahr und so früher Licht kommt. Auf der Unterseite von dem Packeis, das auf dem Meer schwimmt, leben Algen. Und diese Algen sind u. a. die Grundnahrung für Copepoden, das sind die ganz kleinen Krebse (Krill) bezeichnet, und die fangen früher an zu blühen als früher, d. h. die Frühjahrsblüte beginnt früher. Darauf haben sich die Copepoden aber noch nicht eingestellt, d. h. die kleinen Larven sind noch nicht geschlüpft. Die Frühjahrsblüte ist also da und die kleinen Copepoden sind noch nicht da und können nicht fressen, d. h. die Nahrungskette ist auch da faktisch unterbrochen. Es gibt weniger Copepoden, was die Grundnahrung für Wale ist. Man stellt jetzt schon fest, dass viele Wale verhungern, weil es zu wenig Nahrung von den Copepoden gibt.“

Es sind also viele kleine Folgen in dieser biologischen Organisation, die in Summe zu einer massiven Verschlechterung des größten Ökosystems der Welt führen.

 

Warum hauen die Dorsche aus der Ostsee ab?

„Weil es ihnen jetzt schon zu heiß ist. Was die Leute nicht begreifen ist, dass sich dieses empfindliche Ökosystem Meer auf Jahr Millionen eingestellt hat. Und das eine ganz kleine Veränderung der Temperatur schon dazu führt, dass die Organismen nicht mehr klarkommen: Wenn der Dorsch jetzt bspw. aus der Ostsee abhaut, dann liegt das daran, dass er auf den kleinen Temperaturanstieg reagiert. Und das ist das Gleiche beim PH-Wert. Wenn man diese ganzen Faktoren ein bisschen ändert, ist das ein großer Einfluss. Die Ostsee ist das artenärmste Meer der Welt, weil es das jüngste ist. Weil wir erst seit der letzten Eiszeit die Ostsee als Brackwassersystem haben. Vorher was es Süßwasser, dann war es mal Salzwasser – ja nachdem, wie die skandinavische Platte sich hebt und senkt. Aber das Brackwasser-System ist das jüngste ökologische Meeressystem der Welt. Und weil es so jung ist, hatten die Organismen weniger Zeit sich auf dieses Brackwasser-System einzustellen – bspw. in Kiel 16 Promille Salzgehalt, im Vergleich zu 32 Promille im Atlantik oder 36 Promille im Mittelmeer. (…) In Finnland oben haben wir ja schon Hechte – da wird’s schon Süßwasser. Und sich in dieses System einzustellen, hatten die Organismen so wenig Zeit, dass es so wenig Arten in der Ostsee sind. Das artenärmste Meer der Welt, weil 10.000 Jahre nicht gereicht haben, sich einzustellen. Und wir gehen hin und verändern in no time diese Fakten weltweit und wundern uns, dass es Folgen hat."


Wie blicken Sie in die Zukunft?

„Ich habe Elisabeth Mann Borgese immer gefragt: „Wofür kämpfst Du eigentlich, wenn wir über Politik geredet haben, wenn Du weißt, wie schrecklich die Welt ist und dass es ein Kampf gegen Windmühlen ist? Woher nimmst Du die Kraft? Und sie sagte: Wenn Du das noch oft sagst, fehlt mir die Kraft aber wir müssen weitermachen auch wenn wir vielleicht das Gefühl haben es macht keinen Sinn, müssen wir weiter kämpfen. (…) Wir haben keine andere Wahl als uns jetzt zu engagieren, dass es besser wird – auch wenn wir vielleicht denken: „Ach, es könnte zu spät sein. Nein, wir müssen weitermachen. Man muss radikal weitermachen. (…) Und wir haben die Möglichkeiten."