Diversität – echter Impact für die Sportbranche?
Foto: (c) FC Bayern Basketball
Im Rahmen des FC Bayern Basketball Business Circle Main-Events fand am 28. Juni 2023 in der Allianz Arena eine von Lisa Ramuschkat moderierte Podiumsdiskussion zum Thema „Diversität“ statt. Die drei Panelteilnehmer:innen Johanna Mühlbeyer (EQUALATE), Tijen Onaran (Global Digital Women, ACI Consulting) und Frank Sprenger (fors.earth) waren sich einig: Es braucht mehr Diversität in Unternehmen und in der Sportbranche. Wie man dorthin gelangt, dafür hatten die drei ganz unterschiedliche Ideen und Vorschläge.
Lisa Ramuschkat: Zunächst einmal die Frage: Gibt es denn überhaupt Unterschiede zwischen einer Sport- & einer nicht-sportbezogenen Organisation?
Frank Sprenger: Absolut! Es fängt damit an, dass die meisten Industrieunternehmen in verschiedenen Branchen schon länger gespürt haben, dass Themen strategisch relevant werden, sei das die Energiewirtschaft oder auch die Chemie- oder Automobilbranche. Im Sport hingegen ist die Geschwindigkeit – das scheint systemimmanent zu sein – deutlich höher. Wo wir also in Industrieunternehmen lange Prozesse ansetzen, müssen wir im Sport häufig schneller sein. Es darf aber nicht vergessen werden: „Culture eats strategy for breakfast“ – und eine Sportorganisation ist immer auch stark kulturell geprägt. Für uns ist es wichtig, eine Organisation da abzuholen, wo sie steht. Nur mit irgendwelchen Schlagwörtern wie „Nachhaltigkeit“ oder „Diversity“ um sich zu werfen, bringt überhaupt nichts.
Ein letzter großer Unterschied ist das Verhältnis zwischen Organisationsgröße und Strahlkraft. Darin sehe ich eine riesengroße Chance für Sportunternehmen, denn ihre Strahlkraft ist sensationell groß. Bei den Transformationen, die anstehen, haben Sportorganisationen auch eine Verantwortung, diese Transformation mitzubefeuern. Auf der anderen Seite sind Sportorganisationen nicht besonders groß. Aus unserer Sicht ist ein FC Bayern mit etwa 1300 Mitarbeitenden ein eher kleines Unternehmen, aber eins mit einer schier unglaublichen Strahlkraft. Manche Sportvereine sind noch kleiner und man erwartet, dass sie alle Themen gleichzeitig umsetzen – das ist natürlich vollkommen illusorisch.
Wie kann Diversität zu Nachhaltigkeit in Unternehmen beitragen?
Johanna Mühlbeyer: Argumente wie „Mehr Diversität führt zu mehr Ideen“ liegen auf der Hand. Ich glaube, es sind zwei andere Facetten, die derzeit eine stärkere Rolle spielen. Erstens müssen wir uns fragen, wie aktuell der Arbeitsmarkt funktioniert und wo die Engpässe liegen. Nämlich: Gute Leute zu finden und spezielle Qualitäten, die diese Leute mitbringen müssen. Gerade in Zeiten von KI & Co. brauchen wir ganz neue Profile. Und da kann uns Diversität helfen. Ein Beispiel: Unterschiedliche Menschen in meinem Setup – Stichwort „Ähnlichkeitseffekt“ – ziehen wiederum unterschiedliche Personen an. Wenn ich 10 Männer im Team habe, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sich auch eher Männer bewerben. Habe ich aber einen höheren Frauenanteil, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich Frauen bewerben.
Und zweitens: Unternehmen sind mit neuen Fragestellungen, mit Druck und Effizienz konfrontiert in den kommenden Jahren. Diversere Teams können Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, das würde eine Gruppe mit ähnlichen Personen nicht schaffen.
Tijen Onaran: Wir sind in unseren Gewohnheiten gefangen und wenn man in gewissen Bubbles unterwegs ist, kennt man es eben nicht anders. Systeme funktionieren ja nicht, indem man ständig von oben etwas hineinkippt und auf einmal alle Mitarbeitenden intrinsisch motiviert sind und sagen „Darauf habe ich gewartet, ich wollte schon immer eine diverse Unternehmenskultur haben und darauf achten, was ich esse und wie ich reise!“ Man muss den Menschen vielmehr zeigen, dass Nachhaltigkeit einen Mehrwert hat. Nur weil ich selbst es verstanden habe, heißt das noch lange nicht, dass es auch alle anderen verstanden haben.
Deshalb brauchen wir Menschen auf Entscheider:innenebene als Role Models, die vorangehen und den Diskurs mitprägen, denn: Was ich sehen kann, kann ich werden. Wenn junge weibliche Talente Frauen in Führungspositionen, in Aufsichtsräten, in der Geschäftsführung sehen oder eine Investorin wie mich, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich sagen: „Tijen hat es geschafft, ich kann es auch schaffen“. Das funktioniert natürlich für andere Dimensionen von Diversität auch, deshalb ist es so wichtig, dass wir in allen Lebensbereichen mehr Vielfalt haben, im Fußball wie in der Politik. Wir müssen Vielfalt endlich als echten Mehrwert sehen, dieser ist sogar studientechnisch belegt, es gibt diesen Kausalzusammenhang „Diversität pusht Innovation“. Die Performance von diversen Teams in Unternehmen ist immer besser und innovativer als die von nicht diversen.
Warum braucht es für den ökonomischen Erfolg auch ökologisches Engagement?
Frank Sprenger: Ein Beispiel: Sportorganisationen betreiben oft große Hallen oder Stadien. Wer heute auf Gas als Energieversorgung setzt für eine große Anlage, der wird das ökonomisch spüren, bei der Installation, bei den Gaspreisen, aber auch wenn die veraltete Technologie wieder ersetzt werden muss. Wenn ich als Unternehmen verstehe, welche Transformationen auf mich zukommen, dann kann ich langfristige Investitionsentscheidungen viel besser treffen.
Eine andere Perspektive stellen z.B. Sponsorships dar. Die Stadt Augsburg wurde für ihr Wassermanagement als Weltkulturerbestadt ausgezeichnet, der FCA bespielt in seiner Nachhaltigkeitsstrategie das Thema Wasser, setzt sich für den Schutz von sauberem Wasser ein. Dadurch kann er ganz gezielt auf Sponsoren zugehen, und auf einmal sehen Sponsoren eine Plattform, die sie vorher nicht gesehen haben. Das ist die zweite Perspektive für ein Sportunternehmen mit direkten ökonomischen Auswirkungen, hier eröffnen sich also große Chancen.
Die Erkenntnis ist da, die Umsetzung stellt eine große Herausforderung dar. Wie schafft man es, ins Tun zu kommen?
Frank Sprenger: Erstens: Sich bewusst machen, dass Nachhaltigkeit ein Marathon ist, das nimmt etwas die Strenge heraus. Zweitens: Nicht perfekt sein wollen. Wir sprechen über Nachhaltigkeit, als wäre es ein Absolutum. Ein Unternehmen tut sich keinen Gefallen, wenn es sich als nachhaltig bezeichnet, nur weil es ein Produkt hat, das in einer Produktkategorie besser ist oder weil es eine Quote verbessert. Das tut keinem gut, denn jeder hat irgendwo Angriffspunkte. Drittens: Die richtigen Schwerpunkte setzen. Strategie heißt zunächst einmal, sich zu konzentrieren, und im Umkehrschluss auch vieles wegzulassen oder zumindest mit geringerer Priorität zu bearbeiten.
Das gilt auch für den Sport – es bringt nichts, 150 Kriterien abzuhaken, man sollte überlegen, wo man eine Wirkung erzielen kann und sich gleichzeitig von den alten Narrativen lösen. Es wurde viel kommuniziert, viel geschrieben, z.B. „Diversität ist für uns selbstverständlich“ und auf einmal interessieren sich Menschen dafür und schauen ins Unternehmen rein. Mitarbeitende z.B. haben einen guten Einblick und wissen genau, was Bullshit ist. Ich kann Unternehmen nur raten, in der Kommunikation demütiger zu werden und die Dinge so benennen, wie sie sind.
Johanna Mühlbeyer: Ich würde sogar noch weitergehen: Nachhaltigkeit ist kein Marathon – Nachhaltigkeit ist eigentlich ein Rennen, das nie aufhört. Mit Blick auf das Thema Digitalisierung: solange wir uns verändern und es Innovationen gibt, wird das in diesem Bereich auch passieren. Ich plädiere ebenfalls dafür, klein anzufangen, man muss probieren, man darf Fehler machen, man sollte kritisch darüber diskutieren, dann kommt man auch einen ganzen Schritt weiter.
Wie steht ihr zum Führungspositionengesetz (FüPoG oder Gesetz zur Frauenquote) von 2015 und 2021?
Johanna Mühlbeyer: Das Gesetz ist ein wichtiger Hebel und ich bin absolut dafür, dass es das manchmal braucht, um sich mit anderen Netzwerken auseinanderzusetzen, z.B. im Bereich Recruiting. Die Quote sollte aber nur ein Hebel von ganz vielen sein. Im Fokus sollte stehen, was jede und jeder einzelne oder was eine Führungsriege tun kann.
Tijen Onaran: Vor sieben Jahren hätte ich vielleicht noch gesagt „Quote ist das Allerschlimmste, was man Unternehmen antun kann!“. In den sechs Jahren, die ich seither in dem Bereich unterwegs bin, kam allerdings der Reality Check und ich muss zugeben: Ohne Druck funktioniert es nicht. Es ist bitter genug, dass wir solche Instrumente brauchen. Ich möchte noch mit einem Mythos aufräumen: „Quote“ ist nicht gleichzusetzen mit „keine Qualifikation“. Es wird nicht versucht, irgendwelche Frauen in Aufsichtsratposten zu heben, es geht darum, einen stärkeren KPI zu haben. Genau wie ich mir als Unternehmen Rendite-Umsatz-Ziele setze, setzte ich mir Ziele in puncto Diversität. Die Quote ist hier das greifbarste Mittel, alle anderen Dimensionen von Diversität sind weniger greifbar, wie z.B. soziale Herkunft, da nicht erkennbar ist, ob jemand aus einem Akademikerhaushalt stammt oder nicht. Es bringt meiner Meinung nach übrigens nichts, eine Frau in einen reinen Männervorstand zu setzen und sie muss genauso agieren wie ein Mann.
Hier greift der zweite Part von Diversität, hier kommt die Inklusion ins Spiel, wir müssen es schaffen, dass wir das Thema Leadership verändern und in die Neuzeit bringen. Der Tisch wird diverser, dadurch gibt es andere Perspektiven, was bedeutet das für die Definition von Führung? Ich hasse das Wort „Förderprogramme für Frauen“, das klingt so nach „aus der Ecke holen“, aber es geht nicht darum die Frauen zu reparieren, sondern das System. Und ein System kann man nur reparieren, wenn es konkrete Zahlen, Daten und Fakten gibt, anhand derer ich mich als Geschäftsführer, als Aufsichtsrat, als Vorstand oder als Manager orientiere. Viele Unternehmen arbeiten mit Personalberatungen zusammen - auch Personalberatungen müssen diverser werden, denn wenn diese den Unternehmen immer wieder dieselben Profile aus ihren Datenbanken vorschlagen, die über die Jahre auch nicht diverser geworden sind, dann verändert sich nichts.
Was können Unternehmen tun, um Anreize zu setzen, Nachhaltigkeit aktiv im Unternehmen voranzutreiben?
Frank Sprenger: Es gibt verschiedene Ansatzpunkte. Da wäre zum einen die Wettbewerbsperspektive, schauen wir nur auf die Energiewirtschaft. Manch großer Energieversorger baut weiterhin auf Kohle, denjenigen, die einen anderen Weg eingeschlagen haben, geht es jetzt ökonomisch besser. Außerdem wichtig: Die Fokussierung. Wir müssen Komplexität soweit es geht reduzieren, Stichwort: „choose your battles“. Nicht am Anfang gleich das Thema bearbeiten, das für die Branche oder für die Kultur am schwierigsten ist. Am schönsten für mich ist es zu beobachten, wenn in einem Beratungsprozess der Anstoß vom Kunden selbst kommt, wenn der Kunde selbst merkt: „Ah, Thema XY haben wir ja noch gar nicht auf dem Schirm gehabt, das hatten wir bislang ganz vergessen…“
Tijen Onaran: Wir müssen Präzedenzfälle im Unternehmen schaffen. Man kann Menschen nur überzeugen, wenn sie es in ihrem unmittelbaren Umfeld auch erleben. Meine Empfehlung ist es, mit einem konkreten Bereich anzufangen, so dass dieser Bereich ins Unternehmen hineinstrahlen kann. Botschafter:innen auszubilden, die von Erfahrungen berichten. Wir müssen in die Lebensrealität der Mitarbeitenden in Unternehmen. Mein Rat: Mit einer Abteilung anfangen, Projekte anschieben, deren Strahlkraft ausnutzen und eine Strategie für das gesamte Unternehmen hinterherschieben.
Johanna Mühlbeyer: Es geht darum, Leute zu involvieren und nach ihrer Meinung zu fragen. Externe Berater:innen oder auch eine interne Diversity-Task-Force sollten nicht allein den Weg vorgeben. Viel näher dran sind doch die Menschen, die im Unternehmen arbeiten. Menschen wollen gehört und gesehen werden. In Kundenprojekten sprechen wir deshalb nicht nur mit der Kernzielgruppe, sondern auch mit anderen Gruppen. Wenn es beispielsweise um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht, befragen wir neben der Hauptzielgruppe – Mütter und Väter, die in Teilzeit arbeiten – auch deren Führungskräfte sowie Mitarbeitende, die keine Kinder haben. So können wir uns ein ganzheitliches Bild machen und die Diversitätsstrategie individuell an das Unternehmen anpassen.
Wie können wir die Themen Diversität und Nachhaltigkeit zukünftig weiter vorantreiben, wo geht die Reise hin?
Johanna Mühlbeyer: Ich hoffe, dass wir mehr über Cases sprechen! Wir sollten offen teilen „Was funktioniert bei uns gut, was funktioniert bei euch gut, wo können wir voneinander lernen?“
Tijen Onaran: Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache, unter den 40 DAX-Unternehmen gibt es gerade mal eine einzige alleinige Vorsitzende, damit gebe ich mich nicht zufrieden. Wir müssen das Momentum der Veränderung, das wir gerade in unserer Gesellschaft erleben, positiv nutzen, um wirklichen Impact zu schaffen. Veränderung kommt, egal ob ich es will oder nicht, dann setze ich mich doch an die Spitze der Veränderung und gestalte sie in meiner Geschwindigkeit mit. Daher mein Appell: Sei Agenda-Setter, präge sie in deiner Handschrift, in deiner Frequenz.
Frank Sprenger: In spätestens zwei Jahren wird Nachhaltigkeit zum Unwort des Jahres gekürt, weil es überhaupt keine Substanz mehr hat, weil alle „nachhaltig“ sind und sich nichts wesentlich verändert hat. Ich denke, wir werden unseren Fokus verändern müssen. Ich halte zwei der 17 Ziele für Nachhaltigkeit der UN für entscheidend: SDG 5, „Geschlechtergleichheit,“ und SDG 10, „Weniger Ungleichheit“ im Sinne von „Mehr Gerechtigkeit.“ Man kann sich jedes beliebige Nachhaltigkeitsthema nehmen und wenn man es aus der Perspektive der Gerechtigkeit betrachtet, wird einem schnell aufgehen, was da passiert. So trifft der Klimawandel diejenigen Menschen am härtesten, die am wenigsten dazu beigetragen haben: die Bewohner des globalen Südens. Im Zweifel hilft es, Kinder zu befragen, was sie als gerecht empfinden würden. Sie haben meist intuitiv ein sehr klares Bild davon, was wir nach langem Nachdenken als ungerechte Privilegien bezeichnen würden.
Vielen herzlichen Dank!
Die Redebeiträge wurden teilweise gekürzt und für die bessere Lesbarkeit leicht redigiert.
Lisa Ramuschkat moderiert seit 2013 Shows im Web und TV sowie Events. Die liebste Spielwiese der ehemaligen Feldhockey Leistungssportlerin ist dabei der Sport in all seinen Facetten – von Fußball über Basketball bis hin zum Rennsport. Seit 2019 hat sie mit "Team Lisa" einen eigenen Podcast, außerdem tritt sie als Speakerin in Erscheinung.
Johanna Mühlbeyer bezeichnet sich selbst als Kuratorin für das Thema Diversität in der Sportbranche. Mit ihrem Startup EQUALATE hilft sie Unternehmen, diversere und inklusivere Strukturen aufzubauen und zu entwickeln und Vielfalt als Wettbewerbsvorteil im Sportbusiness zu nutzen.
Tijen Onaran ist Gründerin des Unternehmens Global Digital Women und der Diversity-Beratung ACI. Sie unterstützt Firmen bei der Konzeption und Umsetzung von Female-Empowerment-Kampagnen und berät in allen Fragen rund um das Thema Diversität, Inklusion & Gleichberechtigung.
Frank Sprenger ist seit 1992 in Sachen Nachhaltigkeit unterwegs. Sein Schwerpunkt ist die Integration von Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie und deren Umsetzung. Der Gründer der Strategieberatung für Nachhaltigkeit fors.earth ist davon überzeugt, dass unternehmerische Nachhaltigkeit nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie wirtschaftlich machbar ist.