„Nachhaltigkeit ist ein Handwerk, das es von der Pike auf zu lernen gilt“
fors-Gründer Frank Sprenger über Herausforderungen und Chancen in Nachhaltigkeitsmanagement und Nachhaltigkeitsberatung (Teil 1)
Bei unserer täglichen Arbeit in der Nachhaltigkeitsberatung fors.earth stellen wir immer öfter fest, dass viele unserer Ansprechpartner:innen auf Kundenseite, seien es Nachhaltigkeitsmanager:innen, Sustainability Beauftragte, Corporate Social Responsibility Manager:innen oder Corporate Sustainability Officer, sich in ihren Unternehmen teils nicht ernst genommen und oftmals überfordert fühlen. Die Frustration ist hoch, die Kündigungsquote ebenso. Warum ist das so? Das wollte unsere Kollegin Julia Winderlich von unserem Gründer Frank Sprenger wissen, der seit über 30 Jahren seinen ganz persönlichen Nachhaltigkeitsmarathon läuft.
Im ersten Teil des Gesprächs blickt Frank zurück auf die Nachhaltigkeitsmanager:innen der ersten Stunde, erklärt, wie sich deren Rolle im Laufe der Jahre verändert hat und nennt Erfolgsfaktoren für die Umsetzung von Nachhaltigkeitsinitiativen in Unternehmen.
Frank, kannst du uns zunächst eine kleine Einordnung zur Aufgabe und zum Background von Nachhaltigkeitsverantwortlichen geben?
Wenn wir uns die Rolle der Nachhaltigkeitsmanager:innen anschauen, gibt es zwei Grundmechanismen. Da gibt es zum einen die Umweltmanager:innen, die ungefähr in den 90er Jahren die Bühne betraten. Diese Positionen haben sich vor allem etabliert mit dem Aufkommen des europäischen Umweltmanagementsystems EMAS (Eco-Management and Audit Scheme). Damals ist das erste Mal systematisch eine Managementaufgabe draus geworden. Vorher war dieser Bereich stark gesetzlich geprägt, es gab zum Beispiel Gewässerschutz-, Abfall- oder Emissionsschutzbeauftragte, die einen eher ingenieurtechnischen Background hatten. Im Laufe der Zeit gewann die Rolle dieser Beauftragten immer mehr an Bedeutung, vor allem, weil das Umweltmanagement gesetzlich legitimiert wurde. Sie hatten das Vortragsrecht vor der Geschäftsführung und rechtfertigten ihre Position mit den drohenden Strafen für Verstöße gegen die Umweltauflagen.
Mit der Entstehung von Umweltmanagementsystemen wie ISO 14000 oder EMAS wurden Umweltmanagementbeauftragte definiert, die sich in vielen Fällen aus den gerade genannten klassischen Beauftragten rekrutierten. Als großen Unterschied können wir hier feststellen, dass nun dokumentierte Managementsysteme aufgebaut und – wie im Fall von EMAS – auch kommuniziert werden mussten, es musste eine Umwelterklärung abgegeben werden und von einem unabhängigen Umweltgutachter überprüft werden.
Dokumentationsverliebtheit statt Businessorientierung
Die Arbeit wurde managementorientierter, als Hebel schoben die Beauftragten aber immer noch gerne „den Umweltgutachter“ vor, der das Dokument im schlimmsten Fall nicht absegnen würde. Interne Widerstände ließen viele Umweltbeauftragte „dokumentationsverliebt“ werden, sie fixierten sich zu stark auf die Dokumentation, anstatt businessorientiert zu handeln. Wäre das damals schon erfolgt, hätten die Beauftragten ihre Perspektive erweitert und auch die Wertschöpfungskette mit im Blick gehabt sowie den reinen Umweltschutzgedanken um soziale Aspekte erweitert, dann hätten wir uns damals schon in Richtung eines vollständiges Nachhaltigkeitsmanagements entwickelt. Das war aber nur ganz selten der Fall.
Den nächsten Schritt markiert dann die Entwicklung der umfassenden, kommunikativen Berichterstattung, beispielsweise nach GRI (Global Reporting Initiative), in den Nullerjahren. Hier traten erstmals Marketing und Kommunikation auf den Plan. Und hier liegt meines Erachtens auch die tiefere Ursache für Gesetze, die Transparenz regeln wollen, denn damals entstanden Narrative wie das unsägliche „Nachhaltigkeit ist Teil unserer DNA“. Aus diesen Narrativen, die einfach nicht der Wahrheit entsprachen, fanden viele Unternehmen nicht zurück. In diesem Zeitraum Anfang des Jahrtausends gab es einen kommunikativen Twist, auch erkennbar an dem Begriff „CSR“, den Organisationen damals oft für ihre Nachhaltigkeitsbemühungen wählten. In dieser Zeit erleben wir die Loslösung vom standortbezogenen, ingenieurgetriebenen Umweltschutz. Dabei entwickelte sich die Kommunikation immer weiter weg von den praktischen Notwendigkeiten.
Zusammengefasst heißt das: Vor den 90ern gab es fast ausschließlich Compliance, in den 90ern kamen die Managementsysteme auf und Anfang der 2000er die breite, kommunikative Berichterstattung. Wo stehen wir heute?
Mittlerweile werden diese Themen aufgrund sichtbarer und spürbarer Einflüsse von Nicht-Nachhaltigkeit immer strategischer, man schaue sich nur die Unternehmensstrategien von Branchen wie Energie oder Automobil an. Eine der entscheidenden Fragen wird sein, ob die Nachhaltigkeitsbeauftragten aus ihrem bisherigen Mindset herausfinden und den schwierigen Weg auf sich nehmen, das Kerngeschäft mitzuverändern. Wenn sie das tun, müssen sie lernen, die Sprache des Managements zu sprechen und mit den Dilemmata neuer Geschäftsmodelle umzugehen.
Hier werden also ganz neue Fähigkeiten gebraucht?
Die bisherigen Nachhaltigkeitsmanager:innen müssen sich entweder weiterentwickeln, oder es übernehmen neue Köpfe. Das Management hat dem Zeitgeist folgend Nachhaltigkeit an die Unternehmensspitze angedockt und häufig mit Quer- und Neueinsteiger:innen besetzt, aber oft vergessen, es mit bereits existierenden Umwelt-, Compliance- und Managementansätzen zu verknüpfen. Aber erst, wenn dies der Fall ist, erleben wir gut strukturierte und erfolgreiche Nachhaltigkeitsinitiativen.
„Was würde passieren, wenn unser wichtigster Wettbewerber diese Nicht-Nachhaltigkeit in eine Chance ummünzen würde?“
Diese Verknüpfung halte ich für einen ersten Erfolgsfaktor. Ein zweiter Erfolgsfaktor angesichts der ganzen sozialen Themen, die stark an Bedeutung gewonnen haben, ist die Tatsache, dass das Ressort HR Nachhaltigkeit als Chance für eine Weiterentwicklung sieht. Wir beobachten einen Wandel weg vom bedrohungs- hin zum chancenorientierten Mindset: Wir können uns als Unternehmen weiterentwickeln, unsere Kultur weiterentwickeln, wir können an Kundenanforderungen wachsen und vor allem können wir aus der Nicht-Nachhaltigkeit ableiten, wo Chancen und Risiken für unsere Geschäftsmodelle bestehen. Wenn es Kund:innen schwerfällt, sich vorzustellen, wie Geschäftsmodelle sich verändern oder wohin sie sich entwickeln könnten, schlage ich immer vor, dass sie sich folgende Frage stellen: Was würde passieren, wenn unser wichtigster Wettbewerber diese Nicht-Nachhaltigkeit in eine Chance ummünzen würde?
Was ist deiner Meinung nach der größte Fehler bei der Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit?
Ein großer Fehler – der oft aus einer ingenieurorientierten Haltung herrührt – ist es, Nachhaltigkeit für ein kurzfristiges Thema zu halten, das schwarz oder weiß ist. Denn das Gegenteil ist der Fall. Gerade wenn es um die Veränderung von Geschäftsmodellen geht, ist das ein schrittweiser Prozess. Die finanzielle Tragfähigkeit von neuen Geschäftsmodellen ändert sich sukzessive und Schritt für Schritt. Entweder man passt existierende Geschäftsmodelle langsam an, auch abhängig von den gesellschaftlichen, politischen oder Förderungs-Rahmenbedingungen. Oder aber man setzt alternative Geschäftsmodelle auf, die zwar heute noch keine großen Erträge bringen, aber in Zukunft ertragsfähig und irgendwann sogar alternativlos sind. Ein Beispiel hierfür ist die Rügenwalder Mühle GmbH, die 2014 erstmals fleischlose Produkte auf den Markt brachte und inzwischen mehr Umsatz mit vegetarischem und veganen Fleischersatz generiert als mit Produkten, die Fleisch enthalten.
„Wenn die offensichtlichen Schwächen im Kerngeschäft nicht bearbeitet werden,
hilft auch keine PV-Anlage auf dem Dach und kein Dienstfahrrad."
Erfolgreiche Nachhaltigkeit als eine Frage des Mindsets?
Menschen in Organisationen müssen ihre mentalen Modelle und die Art und Weise, wie sie ihr Thema platzieren wollen, hinterfragen. Negative Hebel wie das Drohen mit Gesetzesverstößen sind heutzutage nicht mehr angebracht. Wichtiger wird auch eine Glaubwürdigkeit nach innen, schließlich wissen immer mehr Mitarbeitende um den menschengemachten Klimawandel und seine Folgen. Wenn ein Unternehmen mit nicht-wesentlichen Themen aus der Vergangenheit versucht, Nachhaltigkeit zu bespielen, dann merken die Mitarbeitenden ganz genau, dass das nicht zukunftsfähig ist. Wenn die offensichtlichen Schwächen im Kerngeschäft nicht bearbeitet werden, hilft auch keine PV-Anlage auf dem Dach und kein Dienstfahrrad.
Ist das auch eine Erklärung dafür, dass so viele Nachhaltigkeitsverantwortliche in den letzten Monaten hingeschmissen haben?
Ein unglaubwürdiger Umgang mit Nachhaltigkeit kann ein Faktor sein, aber generell stellen wir fest, dass die Arbeitsbelastung von Nachhaltigkeitsmanager:innen in Unternehmen spürbar zugenommen hat. Das ist zum einen zurückzuführen auf eine stark gestiegene Zahl an gesetzlichen Vorschriften sowie Compliance- und Regulatorikwerken, die aufgrund der Dringlichkeit nicht immer handwerklich gut gemacht sind. Es braucht Mut, pragmatisch damit umzugehen. Fehlt dieser Mut, lässt man sich einreden, dass das alles wahnsinnig kompliziert ist, ist der Burnout vorprogrammiert.
„Das hat sich die Wirtschaft auch selbst eingebrockt,
weil an viele Stellen die Themen kleingehalten wurden
und man nicht für genügend Nachwuchs gesorgt hat."
Zum anderen wächst die Verantwortung. Nachhaltigkeitsbeauftragte haben Angst vor Greenwashing. Diese größere Verantwortung geht allerdings nicht mit einer Aufstockung von Ressourcen einher, sei es Personal oder Durchgriff in die Organisation. Außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass es bei weitem nicht genügend Menschen auf dem Markt gibt, die das entsprechende Standing, die Erfahrung und die Kompetenzen haben, um den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Das hat sich die Wirtschaft auch selbst eingebrockt, weil an viele Stellen die Themen kleingehalten wurden und man nicht für genügend Nachwuchs gesorgt hat. Leider sind viele Unternehmen gar nicht in der Lage, das benötigte Fähigkeiten-Set von Nachhaltigkeitsmanager:innen richtig einzuschätzen und es werden die falschen Leute eingestellt. Frust und Verzweiflung sind vorprogrammiert, weil es auf beiden Seiten an relevanten Erfahrungen fehlt. Und schließlich ist es für engagierte Menschen, die vor allem Wirkung erzielen wollen, natürlich frustrierend, wenn in ihrem Unternehmen Nachhaltigkeit nicht ausreichend mit dem Kerngeschäft verknüpft ist.
Quelle: SustyPeople
Nun gibt es mittlerweile viele Nachhaltigkeitsstudiengänge und ergo viele frische Absolvent:innen, was rätst du ihnen?
Demut! Für mich ist Nachhaltigkeit ein Handwerk, das es von der Pike auf zu lernen gilt. Hängt noch ein paar Lehrjahre in einem Produktionsbetrieb an, um zu verstehen, was dort überhaupt passiert! Berufsanfänger:innen müssen erstmal ein realistisches Bild davon entwickeln, wie breit, tief und dynamisch dieses Feld ist und was man davon tatsächlich abdecken kann.
In Teil 2 unseres Gesprächs geht Frank auf die neuen Herausforderungen ein, denen sich auch Mitarbeitende in Nachhaltigkeitsberatungen stellen müssen, nennt einige Eigenschaften, die sie mitbringen sollten und erzählt, welche Fähigkeiten ihm in seiner täglichen Arbeit am meisten helfen. Hier geht’s zu Teil 2.