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 | 18.05.2022

 

Mit Messer und Gabel am Weltgeschehen partizipieren

 
16. FONA-Forum MIT GRÜNEN INNOVATIONEN IN DIE ZUKUNFT

 

Zum 16. Mal fand am 10. Mai 2022 das FONA-Forum in Berlin statt. Im Rahmen der digitalen Veranstaltung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung kamen Akteur:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Bildung und Gesellschaft zusammen, um gemeinsam die Strategie "Forschung für Nachhaltigkeit" (FONA) voranzutreiben und umzusetzen. Hauptziel der Veranstaltung ist der Transfer in die Praxis, damit aus Forschung und Bildung neues Wissen und Innovationen entstehen können.

Die vom NewFoodSystems-Koordinationsbüro (Prof. Sabine Kulling, Dr. Leonie Fink) am Max Rubner-Institut organisierte und unserem Geschäftsführer Dr. Alexis Katechakis moderierte Transfer-Session „Markt und Verbraucher mitnehmen: Gemeinsam die Ernährung von morgen gestalten“ (zum Video) erkundete das Potenzial neuer Lebensmitteltechnologien und nachhaltiger Produktionsstätten und stellte die Frage nach Herausforderungen und Chancen.

Nach einem Grußwort des parlamentarischen Staatssekretärs Dr. h.c. Thomas Sattelberger, der seine Hoffnung äußerte, viele neue Ideen mögen „den Weg auf den Teller finden“ und der Vorstellung des „Innovationsraum NewFoodSystems – neue Lebensmittelsysteme“ durch Prof. Sabine Kulling (Leiterin des Instituts für Sicherheit und Qualität bei Obst und Gemüse, Max Rubner-Institut), kam eine hochkarätige Gesprächsrunde zusammen, um über Probleme und Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Forschung bei der Ausgestaltung neuer Lebensmittel zu diskutieren.

Die wichtigsten Aussagen und Meinungen haben wir zusammengefasst:

Jahrelang mit romantisch-verbrämten Bildern konfrontiert

Hannelore Daniel, Prof. em. für Biochemie und Physiologie der TU München und Mitinitiatorin und Botschafterin der NewFoodSystems zeigte sich begeistert vom aktuellen Demokratisierungsprozess im Lebensmittelsektor. Im Gegensatz zum Top-Down-Ansatz von früher gäbe es nun einen Bottom-Up-Approach: Viele kleine Unternehmen, junge Leute mit großen Ideen, die Revolutionäres voranbringen wollten. Daniel freute sich außerdem darüber, dass Menschen zum ersten Mal generell wahrnähmen, „dass man mit Messer und Gabel am großen Weltgeschehen partizipiert“, sei es im Hinblick auf Klimawandel, soziale Gerechtigkeit oder Tierwohl. Kritisch hingegen sei die in Deutschland über Dekaden praktizierte Entfremdung von der Lebensmittelproduktion. Auslöser sieht sie ganz klar darin, dass die Verbraucher:innen mit „romantisch-verbrämten Bildern der Lebensmittelproduktion konfrontiert“ und Technologien nicht ausreichend vermittelt wurden. Auch der extreme Preisdruck im deutschen Lebensmittelsektor wurde von ihr thematisiert: Daniel plädierte vehement dafür, die externen Kosten von Lebensmitteln zu internalisieren und hofft auf die Unterstützung durch den Lebensmitteleinzelhandel: „Es muss vor Ort passieren, dort, wo Kaufentscheidungen gefällt werden.“

Vertrauen schafft man nicht auf Knopfdruck

Prof. Sabine Kulling, Institutsleiterin Max-Rubner-Institut, äußerte sich zu den Herausforderungen bei der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Wirtschaft. Während Publikationen die „Währung“ der Forschung und Wissenschaft seien, schaue die Wirtschaft auf Business Cases und Geschäftsstrategie. Kulling sieht eine grundlegende Vertrauensbasis und das Teilen von Ideen als wichtiges Element für eine gelungene Zusammenarbeit. Nur langfristige Zeiträume – wie das 6-Jahres-Fenster bei den NewFoodSystems – erlaubten den Aufbau einer solchen echten Vertrauensbasis.

Mit der Konkurrenz am Tisch

Dr. Jörg Kowalczyk, Senior Manager Zentralabteilung F&E bei Südzucker, gab einen Einblick in die Rolle des Unternehmens im Konsortium und äußerte sich über Wettbewerbssituationen. Seine Firma sei wie ein verbindendes Element zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, da man sowohl Kunden mit Ingredients (Lebensmittelzutaten) beliefere, aber auch mit Universitäten zusammenarbeite, um neue Konzepte zu entwickeln. Im Vorfeld säßen man auch mal mit Konkurrenten an einem Tisch, sobald es an die Umsetzung gehe, würden sich die Wege allerdings trennen. Das Portfolio der bearbeiteten Themen sei groß, von neuen Sorten über weniger Arbeitseinsatz und Automatisierung auf den Feldern bis hin zu neuen Energiequellen wie Hochtemperaturwärmepumpen, die in Österreich bereits erfolgreich eingesetzt würden. Eines der dringlichsten Themen, denen man sich widmen müsse, sei die Verpackung. Zusammen mit Universitäten erarbeite entwickle man Ideen von der plastikfreien Verpackung über biologisch abbaubare und kompostierbare Alternativen, mit dem Ziel, diese industriell umzusetzen.

Freiheit ist eine teure Angelegenheit

Prof. Jürgen Hirschfelder, Leiter des Lehrstuhls für vergleichende Kulturwissenschaft der Universität Regensburg, äußerte sich zu der Frage, wie Verbraucherinnen und Verbraucher mit auf den Weg genommen werden können. Seiner Meinung nach muss die Forschung im Bereich der unterschiedlichen Konsumentengruppen und Konsumentenwünsche verstärkt werden. Produkte müssten andocken an die Essgewohnheiten und im wahrsten Sinne des Wortes „schmackhaft gemacht werden“. Auch die Suche nach neuen Strategien – von unten nach oben statt umgekehrt –, die angepasst seien an das Informationsverhalten dieser Gruppen, sei unabdingbar: „Was sind deren Informationskanäle? Ist es Werbung, ist es Social Media?“ Er griff das Bild von Sattelbergers „Idee, die auf dem Teller landet“ auf und erweiterte es zu „der Idee die im Shake, in der Bowl, im Riegel landet“. Eindrücklich mahnte er, dass die Politik zusätzlich die externen Kosten auf den Teller bringen und eine Diskussion über das Essverhalten und die Grenzen der Freiheit anstoßen müsse. „Grillen, so viel ich will, Nahrungsmittel essen, egal woher sie kommen - diese ganz grenzenlose Freiheit werden wir uns im weiteren 21. Jahrhundert nur noch eingeschränkt erlauben können.“ Sein Fazit: „Freiheit ist ein hohes Gut, aber eine teure Angelegenheit.“