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 | 05.05.2021

Klimagerechtigkeit – international und intergenerationell

 

Climate Justice Now

Die Klimakrise ist nicht nur eines der größten Risiken für die Menschheit in diesem Jahrhundert, mit ihr ist auch ein großes Gerechtigkeitsproblem verbunden. Dieses Gerechtigkeitsproblem besteht zum einen darin, dass diejenigen, die nur sehr wenig zu den Ursachen der globalen Erwärmung beitragen, oftmals am stärksten von den Auswirkungen betroffen sind. Die Menschen in den reichen Verursacherländern können sich bisher relativ gut mit Präventionsmaßnahmen, aber auch Versicherungslösungen vor den Auswirkungen schützen.

Klimagerechtigkeit hat zum anderen aber auch eine zeitliche Dimension. Die Generationen, die für die meisten Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich sind und ihren Wohlstand darauf aufgebaut haben, werden die vollen Auswirkungen des Klimawandels nicht mehr erleben. Die jetzt junge Generation, die sich vielfach für mehr Klimaschutz einsetzt, muss dann die „Sünden“ ihrer Eltern und Großeltern ausbaden, selbst wenn sie sich vorbildlich in Sachen Klimaschutz verhalten. Das ist alles andere als gerecht.

 

Ein Beitrag von Prof. Dr. Dr. Peter Höppe

 

 

Internationale Klimagerechtigkeit

 

Zunächst soll das internationale Klimagerechtigkeitsproblem beleuchtet werden. Als geeignetes Maß für die Verantwortlichkeit hinsichtlich des derzeitigen und zukünftigen Klimawandels sind die in der Atmosphäre akkumulierten anthropogenen Treibhausgasemissionen heranzuziehen. Durch die sehr lange Verweildauer in der Atmosphäre reichern sich die Treibhausgase in dieser an – das bedeutendste Treibhausgas Kohlendioxid hat eine mittlere Verweildauer von über 100 Jahren. Das bedeutet, dass auch die Emissionen, die vor einigen Jahrzehnten in die Atmosphäre erfolgt sind, sich noch heute auf das globale Klima auswirken.

Von den anthropogenen CO2-Emissionen, die heute den Klimawandel antreiben, stammen 25% aus den USA, 18% aus der EU (ohne UK), 15% aus anderen Ländern in Europa und 14% aus China. Indien sowie die Kontinente Afrika und Südamerika haben nur jeweils 3% der globalen akkumulierten Emissionen zu verantworten (siehe Abb. 1). Durch die in der letzten Zeit stark gestiegenen Emissionen in China wird dessen Anteil in den nächsten Jahren steigen.

 

CO2-Emissionen weltweit 1750-heute

Abb. 1: Verlauf der Anteile der akkumulierten CO2-Emissionen der verschiedenen Regionen von 1750 bis heute (Quelle: Our World in Data, 2021)

 

Fakt ist, dass die meisten ärmeren Länder in Afrika, Südasien und Südamerika nahezu keinen relevanten Beitrag zum Klimawandel geleistet haben, aber in den letzten Jahren schon sehr stark von ihm betroffen waren.

Ein Maß für die Betroffenheit von zunehmenden Wetterextremen, eine der wichtigsten Ausprägun­gen des Klimawandels, ist der von Germanwatch mit Daten von Munich Re jährlich erstellte Klima-Risiko-Index. In diesen Index werden die Schäden in Relation zum BIP eines Landes und die durch Wetterkatastrophen getöteten Menschen in Relation zur Bevölkerungszahl eingerechnet. Die zehn Länder, die in den letzten 20 Jahren am meisten von Wetterextremen betroffen waren, sind nahezu ausschließlich Entwicklungsländer (Abb. 2). Die Liste wird angeführt von Puerto Rico, Myanmar und Haiti. Die beiden letztgenannten Länder gehören zu den ärmsten Ländern überhaupt.

 

Klimarisikoindex Germanwatch

Abb. 2: Klimarisikoindex von Germanwatch. Die zehn am meisten von extremen Wetterereignissen betroffenen Länder im Zeitraum 2000-2019 (Germanwatch, 2021)

 

Neben einer erhöhten Vulnerabilität ärmerer Länder gegenüber Wetterextremen, die oftmals durch fehlende Mittel zur Einrichtung von Frühwarnsystemen und für Präventionsmaßnahmen bedingt ist, fehlt den Menschen in solchen Ländern auch der Zugang zu Versicherung. Dadurch fällt es diesen Ländern sehr schwer, nach einem extremen Wetterereignis die Schäden zu reparieren und das Wirtschaftsleben wieder in Gang zu bringen.

Um hier einen Beitrag zur Schließung der Gerechtigkeitslücke zu leisten, haben 2005 Vertreter/innen aus der Wissenschaft, von Versicherern und Nichtregierungsorganisationen die „Munich Climate Insurance Initiative“ (MCII) gegründet. MCII ist ein in Bonn registrierter gemeinnütziger Verein, dessen Ziel es ist, versicherungsbasierte Lösungen für Menschen in Entwicklungsländern unter dem Dach der UNFCCC-Klimaverhandlungen zu entwickeln, um sie bei der Anpassung an bereits jetzt unvermeidbare Auswirkungen des Klimawandels zu unterstützen. Das größte Problem dabei liegt im notwendigen Transfer von Mitteln von den Verursachern des Klimawandels in die besonders stark betroffenen Länder, um dort Versicherungsprämien zu subventionieren. Die Risiken in den armen Ländern steigen durch den Klimawandel stark an und damit auch die den Risiken entsprechenden Versicherungs­prämien. Es wäre wohl nur gerecht, wenn die zusätzlichen Risiken durch die Verursacher abgesichert würden.

Schon seit 1992 gibt es internationale Vereinbarungen, aus denen Unterstützung von betroffenen Menschen in Entwicklungsländern in Bezug auf Verluste und Schäden durch den Klimawandel ableitbar ist. So ist das „polluter-pays principle“ im Principle 16 der Deklaration von Rio festgelegt. Dort ist auch die sog. „no-harm rule“ zu finden, die besagt, dass Staaten verpflichtet sind, Schäden für andere Staaten zu verhindern und die Risiken von Umweltschäden zu kontrollieren. Wo Schäden verursacht werden, gibt es die Verpflichtung, die verursachenden Prozesse zu beenden und Entschädigung für alle verursachten Schäden zu leisten. Diese „no-harm rule“ ist ein weitgehend anerkanntes Prinzip des Völkerrechts.

Im Klimavertrag von Paris von 2015 verpflichten sich die Vertragspartner auf das Ziel, ab 2020 pro Jahr 100 Mrd. US$ für Klimaanpassung in Entwicklungsländern zu mobilisieren und diesen Betrag ab 2025 weiter zu erhöhen. Mechanismen für das Management von Schäden und Verlusten durch den Klimawandel sollen auch Klimaversicherung beinhalten. Dies sind alles Mechanismen, um die Klima­gerechtigkeit zu unterstützen.

 

Gerichtsverfahren für Klimagerechtigkeit

 

Auf der Basis der internationalen Rechtslage gibt es immer mehr Gerichtsverfahren, angestrengt von Menschen in ärmeren Ländern gegen die Verursacher ihrer steigenden Schadensrisiken und Verluste. Ein aktuelles Beispiel ist die Klage des peruanischen Landwirts Saúl Luciano Lliuya gegen den Energiekonzern RWE. Lliuyas Haus liegt in der Stadt Huaraz am Fuß der Anden unterhalb eines Gletschersees, des Palcacocha-Sees. Lliuya beklagt, dass die CO2-Emissionen von RWE zum Schmelzen der Gletscher und zum Anstieg des Wasserpegels des Sees beigetragen haben. Um das Risiko eines Ausbruchs des Gletschersees und damit der Überflutung von Huaraz zu verringern, müssen Präventionsmaßnahmen ergriffen werden. Die Klage zielt darauf ab, dass RWE einen Beitrag zu den Präventionsmaßnahmen leisten soll, der proportional zum Anteil an den in der Atmosphäre akkumulierten CO2-Emissionen von ca. 0,5% ist. 2017 folgte das für RWE zuständige Oberlandes­gericht Hamm Lliuyas Anklagepunkten. Das Gericht sieht die Kausalität eines Beitrags von RWE zu dem steigenden Risiko von Huaraz als gegeben, fordert aber noch die wissenschaftliche Belegung der Kausalität.

Einen wichtigen Beitrag dazu liefert eine neue Studie, die im Februar 2021 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Nature Geoscience“ von Stuart-Smith und Co-Autoren publiziert wurde. Diese Studie kommt zu folgenden Ergebnissen:
Seit vorindustrieller Zeit ist der Palcacocha-See aufgrund des Abschmelzens des Palcaraju-Gletschers gewachsen. Die Autoren sehen es als gesichert an (> 99% Wahrscheinlichkeit), dass das Abschmelzen des Gletschers bis heute nicht mit natürlicher Variabilität erklärt werden kann. Sie fanden, dass nahezu die gesamte Erwärmung von ca. 1°C in der betroffenen Region auf den anthropogenen Anteil des Klimawandels zurückzuführen ist. Die zusammenfassende Einschätzung der Autoren ist, dass das Abschmelzen gänzlich diesem beobachteten Temperaturtrend zuzuschreiben ist und dass die veränderte Geometrie von See und Tal substanziell die Gefährdung eines Ausbruchs des Gletschersees erhöht hat. Es wird für den Beklagten sehr schwierig werden, diesen Kausalzusam­men­hang zu widerlegen.

In der Fachliteratur gibt es immer mehr ähnliche Studien, die eine kausale Attribution der globalen Erwärmung zu Wetterextremen mit hohen Wahrscheinlichkeiten quantifizieren. Solche Studien bilden die Basis für eine Welle von erfolgreichen „Klimaklagen“.

In einem anderen Verfahren klagte der „Klimaflüchtling“ Iotane Teitiota aus Kiribati beim Menschen­rechtsausschuss der Vereinten Nationen (CCPR) in Genf gegen seine Abschiebung aus Neuseeland. Seiner Klage wurde im Januar 2020 entsprochen, er und seine Familie dürfen nicht abgeschoben werden.

Eine völkerrechtlich abgesicherte und langfristige Lösung für Klimaflüchtlinge könnte ein 2017 von Hans-Joachim Schellnhuber vorgeschlagener Klimapass sein. Ein solcher Klimapass wäre ein Zertifikat für Menschen, die aufgrund der Auswirkungen der globalen Erwärmung ihre Heimat verlassen müssen. Der Pass sollte dann Aufenthaltsrecht und rechtliche Gleichstellung mit den Staatsangehörigen in sicheren Staaten ermöglichen. Ein Vorbild für den Klimapass ist der Nansen-Pass, der 1922 für russische Flüchtlinge eingeführt wurde.

 

Die intergenerationelle Gerechtigkeitslücke

 

Neben der internationalen Gerechtigkeitslücke im Verhältnis der Verursacher und der meist Betroffenen des Klimawandels gibt es auch eine große intergenerationelle Gerechtigkeitslücke. Die seit ca. 1960 bis heute lebenden Generationen haben in den Industrieländern ihren Wohlstand, vor allem durch das Verbrennen fossiler Energieträger, auf den Emissionen von Treibhausgasen aufgebaut. Für die folgenden Generationen führt das zu großen Belastungen, selbst wenn diese sich in Sachen Klimaschutz vorbildlich verhalten. Um den Wohlstand und auch die Lebensqualität der heute jungen Menschen und der folgenden Generationen nicht noch weiter stark zu belasten, muss die heutige Entscheidergeneration rasch handeln – auch unter Einschränkung des eigenen Wohlstands –, um einen Beitrag zur Generationengerechtigkeit zu leisten.

Der Druck dazu ist insbesondere durch „Fridays for Future“ gewachsen, seit sich im August 2018 Greta Thunberg zum ersten Mal zum Klimastreik vor das Schwedische Parlament gesetzt hat. Fridays for Future ist in nur kurzer Zeit zu einer globalen und einflussreichen Bewegung der jungen Generation geworden, die sich ihre Rechte nicht mehr nehmen lassen möchte. Es bleibt mittlerweile nicht mehr nur bei eindrucksvollen Demonstrationen, sondern einige dieser Jugendlichen rufen auch zunehmend die Gerichte zur Durchsetzung ihrer Rechte an.

So hat z.B. das Bundesverfassungsgericht am 29.4.2021 in seinem Beschluss die Verfassungs­beschwerde von neun Jugendlichen für eine menschenwürdige Zukunft in weiten Teilen akzeptiert: Die Freiheits- und Grundrechte der jungen Generation werden bereits heute durch unzureichenden Klimaschutz verletzt. Der Gesetzgeber muss das Klimaschutzgesetz bis Ende nächsten Jahres nachbessern.

In einem anderen Verfahren haben 33 Kinder und Jugendliche aus Portugal im März 2021 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) 33 europäische Staaten auf mehr Klimaschutz verklagt. Der EGMR räumt dem Fall eine hohe Dringlichkeit ein.

 

Der Druck wächst

 

Im April 2021 erschien eine Publikation der Geneva Association, einem globalen Thinktank der Versicherungswirtschaft, mit dem Thema Haftungsfragen zum Klimawandel. In dieser Publikation beschreibt die Geneva Association sieben Faktoren, welche die Risiken für Klimaklagen erhöht haben. Dies sind:

  • Erhöhte physische und Transitionsrisiken
  • Gesteigerte öffentliche Wahrnehmung der Klimakrise
  • Stärkere Commitments von Regierungen, Unternehmen und Investoren
  • Verfügbarkeit von Finanzierungsmöglichkeiten für Klimaverfahren
  • Sich entwickelnde neue gesetzliche Verpflichtungen
  • Die rasche Entwicklung der attributiven Klimawandel-Forschung
  • Die Implikationen von COVID-19 auf die wirtschaftliche Erholung und klimabezogene Investitionsprogramme

Klimagerechtigkeit und deren Einforderung über Gerichtsverfahren werden in den nächsten Jahren noch bedeutendere Themen werden. Den berechtigten Forderungen der besonders vom Klima­wandel Betroffenen sollte mit weit ambitionierterem Klimaschutz und freiwilligen Unterstützungs­angeboten begegnet werden. Dies würde helfen, Schäden, aber auch zukünftige Gerichtsverfahren, zu vermeiden.

Klimagerechtigkeit kann erst hergestellt werden, wenn in keinem Land auf diesem Globus die jährlichen Pro-Kopf-Emissionen von Treibhausgasen mehr über 1 Tonne liegen. Die Beiträge dazu müssen umso größer ausfallen, je größer die Differenz der aktuellen Emissionen zu diesem Wert heute ist.  

Eine schon viel diskutierte, aber aufgrund des notwendigen globalen Charakters eher visionäre Lösung des Gerechtigkeitsproblems könnte ein globaler Emissionshandel sein, über den ein Ausgleich zwischen den „Verschmutzern“ und den immer stärker betroffenen Menschen in den ärmeren Ländern geschaffen wird. In einem solchen System müssten die Länder, deren Pro-Kopf-Emissionen höher als der globale Durchschnitt (zurzeit ca. 5 t) liegen, proportional zur Differenz zum Durchschnitt Emissionszertifikate kaufen. Die dadurch eingenommenen Mittel könnten dann den Ländern, die weniger als der Durchschnitt emittieren, auch wieder proportional zur Differenz zum Mittelwert der globalen Emissionen transferiert werden. Damit könnten in den ärmeren Ländern Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen finanziert werden. Durch schrittweise Erhöhung der Kosten der Emissionszertifikate für die reichen Länder würde der Druck auf Emissionsminderungen steigen. So würde dann auch der globale Mittelwert der Emissionen immer weiter zurückgehen. Langfristig könnte man sich dann dem nachhaltigen Wert von 1 t pro Kopf annähern.

 

 

Referenzen

Our World in Data, 2021: https://ourworldindata.org/co2-emissions

Germanwatch, 2021: Die zehn am meisten von extremen Wetterereignissen betroffenen Länder im Zeitraum 2000-2019. https://germanwatch.org/de/19777#:~:text=Der%20Globale%20Klima%2DRisiko%2DIndex,sowie%20die%20direkten%20%C3%B6konomischen%20Verluste.

Stuart-Smith et al., 2021: Increased outburst flood hazard from Lake Palcacocha due to human-induced glacier retreat. Nature Geoscience volume 14, 85–90. https://www.nature.com/articles/s41561-021-00686-4

Geneva Association, 2021: Climate change litigation – insights into the evolving global landscape. https://www.genevaassociation.org/research-topics/climate-change-and-emerging-environmental-topics/climate-litigation