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 | 16.02.2023

Hinter den Kulissen der LSME Community der EFRAG  

 

 

Unser Senior Berater für Sustainable Finance Hendrik Leue wurde ausgewählt, die CSRD-Berichtsstandards für börsennotierte KMUs der EFRAG mitzugestalten.

 

Seit Anfang Januar 2023 arbeitet Hendrik Leue – Senior Berater für Sustainable Finance – in der sogenannten LSME Community der EFRAG mit.  
Zu deren Aufgabe gehört die Ausarbeitung der künftigen Berichtsstandards nach CSRD für kleine- und mittelständische Unternehmen, die an Börsen gelistet sind. Dabei geht es um circa 1.100 Unternehmen in Europa und 100 in Deutschland.
Auch die sogenannten „kleinen und nicht-komplexen Institute“ aus der Finanzwirtschaft sind diesem Bereich zugeordnet. In Deutschland ist damit vor allem der Sparkassen- und Genossenschaftsbankensektor mit über 1.000 Instituten gemeint. Zu den berichtspflichtigen KMUs zählen außerdem die sogenannten firmeneigenen Versicherungen- und Rückversicherungen.

 

Hendrik, was hat Dich bewogen mitzuwirken?

Mit Unternehmen und Investoren an ihrer Nachhaltigkeitsstrategie und -umsetzung zu arbeiten ist natürlich schon spannend genug. Und derzeit kommen auch immer mehr Firmen auf uns zu, die bisher noch relativ wenige Anstrengungen zur Integration von Nachhaltigkeit in Geschäftsprozesse unternommen haben. Für viele ist jetzt mit der bevorstehenden Regulierung der Schalter umgelegt worden.  
Zwar geht es in erster Linie um Berichtspflichten – aber diese dienen doch mittelbar als Ansporn, auch in vielen anderen Bereichen noch aktiver zu werden. Als Berater:innen  sollten wir hier versuchen, die Unternehmen dabei zu unterstützen, diese Aufgabe von einer „lästigen Pflicht“ in einen strategischen Vorteil umzumünzen.  
Daher möchte ich in dem Prozess bei der EFRAG auch den Aspekt betonen, dass kleinere Betriebe durchaus einen strategischen Vorteil aus der Berichtspflicht ziehen können und nicht nur als Datenlieferant für Großkonzerne und Finanzinvestoren dienen.  

Wie transparent ist der Ausgestaltungsprozess? Was wird in öffentlichen Sitzungen besprochen? Wie können Interessierte an ihnen teilnehmen und die Ergebnisse verfolgen?  

Die Teilnahme am Gremium war Ende 2022 ausgeschrieben worden, damit Expert:innen aus der Praxis gemeinsam mit den Bürokraten an den Details arbeiten können. Die Arbeitsgemeinschaft setzt sich aus Personen mit vielfältigen Hintergründen aus allen Bereichen und Ländern zusammen. Unterschieden wird prinzipiell zwischen der Gruppe der “Nutzer” von Nachhaltigkeitsdaten – wie den größeren Unternehmen und Finanzmarktteilnehmern – und der Gruppe der sogenannten  „Preparer“, also den KMUs, die die Berichte tatsächlich anzufertigen haben. Mit meiner Arbeit bei fors.earth gehöre ich gewissermaßen beiden Gruppen an: Ich persönlich arbeite viel für Finanzmarktunternehmen, aber bei fors.earth haben wir eben auch viele Kunden im Bereich der kleineren- und mittleren Betriebe.  
Die Anhörungen erfolgen innerhalb der Gruppe nicht-öffentlich. Während der letzten 40 Minuten der Anhörungen öffnet die EFRAG die Sitzung allerdings für die Öffentlichkeit – so zuletzt am 27. Januar. Interessierte können dann eine Zusammenfassung der Diskussionen der geschlossenen Sitzung anhören und sich beteiligen. Gerade bei der Gruppe der KMUs stieß diese Möglichkeit bisher auf hohe Nachfrage. Interessierte können sich hier für die Teilnahme an einer öffentlichen Sitzung registrieren.


Welche Herausforderungen siehst Du aktuell bei der Ausgestaltung der ESRS?  

Die Ausgestaltung der ESRS für kleinere Unternehmen unterliegt einigen Zwängen. So gebietet die CSRD, dass die Berichtspflichten proportional zu Größe und Komplexität der Firmen  geringer ausfallen sollten. Das leuchtet  erst einmal ein. Wer weniger Ressourcen hat, sollte  weniger Pflichten haben. Aus Nachhaltigkeitssicht ist das meistens  völlig in Ordnung, denn kleinere und mittlere Unternehmen haben in der Regel einen deutlich geringeren Fußabdruck und durch weniger komplexe Wertschöpfungsketten  oftmals weniger indirekte Risiken – wie etwa Menschenrechte in der Lieferkette.  
Trotzdem müssen die Berichtspflichten aber nicht nur den eigenen, sondern auch den Ansprüchen anderer dienen. So ist zum einen das Ziel der CSRD allgemein, Investoren mit ausreichend Nachhaltigkeitsinformationen zu versorgen und so  nachhaltigere Geschäftsmodelle und -prozesse zu fördern. Die Finanzinstitute müssen standardisierte Kennzahlen, die sogenannten PAIs (Principle Adverse Impacts) über ihre Portfolien veröffentlichen. Allerdings sollten kleinere Unternehmen nun nicht von Finanzierungen ausgeschlossen werden, nur weil sie weniger Nachhaltigkeitsdaten veröffentlichen.  
Zum anderen sind gemäß CSRD die Berichterstattungspflichten für KMUs auch ausschlaggebend dafür, in welchem Umfang große Unternehmen bezüglich ihrer Wertschöpfungskette in die Tiefe gehen müssen. Sprich: wenn KMUs beispielsweise nichts  über ihre Klimarisiken ausweisen müssen, reduziert das  die Berichtspflichten für Großkonzerne zu ihrer vor- oder nachgelagerten Wertschöpfungskette hinsichtlich der Klimawirkung.  
Daher ergibt sich ein gewisser Zielkonflikt, die Berichtspflichten im Sinne der Nutzer (Finanzmarkt, Konzerne) auszuweiten und im Sinne der KMUs und des Proportionalitätsansatzes eher auszudünnen.

Was wird für KMUs wichtig werden?  

Aus meiner Sicht wird sich der angesprochene Zielkonflikt nicht nur durch ein cleveres Design der Berichtspflichten auflösen lassen. Es wäre zudem schade, wenn das stärkere Maß an Nachhaltigkeit in Unternehmen dazu führte, dass sich Konzerne gegenüber kleineren Firmen noch mehr Marktanteile sichern.
Daher plädiere ich dafür, dass auch kleine und mittelständische Unternehmen einen möglichst robusten Nachhaltigkeitsprozess durchlaufen, der strategisch und gewinnbringend verwendet werden kann, anstatt nur als ressourcenziehend wahrgenommen zu werden. Dazu gehört für mich   eine starke Stellung der Wesentlichkeitsanalyse. In einer CSRD-konformen Wesentlichkeitsanalyse werden tendenziell weniger Themen für die KMUs als wesentlich einzustufen sein, da die Faktoren „scale“ und „scope“ bei der Inside-Out Betrachtung objektiv geringer ausfallen dürften als bei vergleichbaren Großkonzernen.  
Im Prozess der Wesentlichkeitsanalyse können spezifische Stärken kleinerer Betriebe besser zum Tragen kommen – zum Beispiel der oft familiäre Einbezug von externen Stakeholdern. Kleine Unternehmen kennen ihre Mitarbeiter:innen besser, unterhalten eher regionale Lieferbeziehungen und Absatzwege. Oft sind sie in lokalen Gemeinschaften stark verankert. Diese Vorteile gilt es zu fördern und herauszustellen. Wenn dies gelingt, wird es auch für kleinere Unternehmen immer lohnender, Nachhaltigkeit als strategischen Aspekt bei den eigenen Geschäftsprozessen mitzudenken und voranzutreiben.  
Wenn diese Faktoren berücksichtigt werden, können KMUs als selbstbewusste Akteure auftreten und vermeiden, dass die Berichtspflichten sie zum puren „Datenlieferanten“ für Dritte herabstufen.  
Darüber hinaus sollte aber alles dafür getan werden, KMUs bei den Prozessen zu unterstützen. Im EFRAG-Gremium wurde bereits angesprochen, inwieweit vorbereitete Templates und Berichterstattungshilfen zur Verfügung gestellt werden können. Daneben erwarte ich, dass die Prozesse in Sachen Wesentlichkeitsanalyse in den nächsten Jahren eine deutliche Professionalisierung erfahren werden. Das senkt auch Kosten für KMUs, die ja erst ab 2028 tatsächlich berichtspflichtig nach CSRD werden.  


Gibt es Themen, die Deiner Meinung nach noch stärker diskutiert werden sollten?  

Unter den von den Berichtspflichten für KMU erfassten Firmen befinden sich über tausend kleinere Finanzinstitute aus Deutschland, größtenteils Sparkassen- und Genossenschaftsbanken. Europaweit sind es sogar mehr als zweitausend Institute, zusammengerechnet mehr als die realwirtschaftlichen Unternehmen, die börsennotiert sind. Dass auch diese Institute in Zukunft stärker zu Nachhaltigkeitsaspekten berichtspflichtig werden, scheint mir in der Debatte derzeit unterrepräsentiert. Gerade in Deutschlands kleinteiligem Bankenmarkt könnte das noch ausschlaggebend werden, ob sich lokale Institute gegenüber den Großen halten können. Dabei haben doch gerade Sparkassen- und Genossenschaftsbanken mit ihrem starken lokalen Bezug eigentlich die Möglichkeit, sich von den Großinstituten auch in Punkto Nachhaltigkeit glaubwürdig abzuheben. Dazu müsste Nachhaltigkeit aber als strategisches Thema erkannt werden. Der alte Slogan „wir waren schon immer nachhaltig“ reicht mittlerweile nicht mehr aus. Vielleicht können die Berichtspflichten auch hier ein Umdenken einläuten.


Was ist der nächste Meilenstein?
 

Bis Mitte 2024 sollen delegierte Rechtsakte erlassen sein, um die Berichtspflichten festzuschreiben. De facto wird es wegen der Verwebung mit den Berichtspflichten großer Unternehmen aber möglicherweise schon vorher zu diesen Rechtsakten kommen. Ich halte es für relativ wahrscheinlich, dass die Ausarbeitung bereits im ersten Halbjahr 2023 kommt, um zusammen mit den ESRS für große Unternehmen umgesetzt werden zu können.

Was wünscht Du Dir von der EFRAG?  

Die Offenheit, die Berichtspflichten als Einfallstor für Unternehmen nutzen zu können, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auch operativ stärker auseinanderzusetzen. Dafür sollten die Berichtspflichten auch strategische Elemente erlauben und fördern.  
So kann Nachhaltigkeitsberichterstattung von lästiger Pflicht zum strategischen Spaß werden.