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 | 20.12.2021

 

Es war Anfang November 2021. Eine Zahl stand während der Klimakonferenz in Glasgow im Fokus: 1,5. Sie definiert das Ziel, die globale Klimaerwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Inwieweit hat uns die COP26 in Schottland diesem Ziel nähergebracht? Welche Erfolge und Enttäuschungen haben wir erlebt? Was ist jetzt zu tun?

 

Prof. Dr. Dr. Peter Höppe (Senior Experte Klimawandel und Umweltrisiken)  

Die zukünftigen Emissionen von China und Indien entscheiden über den Ausgang der Klimakrise.

 

Die beiden größten Volkswirtschaften und Emittenten von Treibhausgasen, die USA und China, haben eine engere Zusammenarbeit angekündigt, um ehrgeizigere Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Ein Erfolg. China spielt eine zentrale Rolle im Kampf gegen die Klimakrise – ohne China ist das 1,5 Grad Limit nicht einhaltbar, denn das Land ist für rund 30 % der weltweiten Emissionen verantwortlich. Bislang hatte China angekündigt, seinen CO2-Ausstoß erst ab 2030 reduzieren zu wollen, die schnell wachsende Volkswirtschaft würde also die kommenden Jahre noch auf ihren Emissions-Höhepunkt zusteuern. Der Einfluss der US-Amerikaner könnte diesen Peak nach vorne ziehen und eine frühere Dekarbonisierung in China einleiten.

Klimaschutz ist und bleibt eine internationale Herausforderung. Den wichtigsten Hebel zur Bewältigung der Krise sehe ich in der länderübergreifenden Zusammenarbeit. Der Ausgang der Klimakrise wird zunehmend durch die zukünftigen Emissionen der Länder mit der größten Bevölkerung, China und Indien, entschieden. In diesen Ländern – insbesondere Indien – liegen aber die Pro-Kopf-Emissionen noch weit unter jenen der meisten westlichen Industrieländer. Um sie zu ambitionierteren Emissionsreduktionen zu bewegen, müssten wohl die Länder mit den historisch höchsten Emissionen (Nordamerika und Europa) selbst ambitionierter werden und ihre Unterstützung anbieten.

Ein weiterer Erfolg: Es wurde klar festgehalten, dass die Klimaziele jährlich angepasst werden müssen. Zuvor war angedacht, die Ziele nur alle fünf Jahre zu überprüfen – was für 1,5 Grad fatal wäre. Natürlich fragen wir uns, warum die Nationen nächstes Jahr ambitioniertere Pläne vorlegen sollten, wenn sie dies doch schon jetzt hätten tun können. Daneben halten viele Länder die schon in Paris gemachten Versprechungen bis heute nicht ein. Die Devise heißt ganz klar: Dranbleiben. Und das gilt für uns alle.

 

Dr. Alexis Katechakis (Geschäftsführer, Dipl.-Biologe, MSc Sustainable Resource Management)  

Der Globale Süden zahlt die Zeche. Die versprochenen Ausgleichszahlungen decken nur einen Bruchteil der Folgekosten der Klimaerwärmung.

 

Eines der brisantesten Themen war wohl die Frage der Finanzierung von Naturkatastrophen durch zunehmende Wetterextreme sowie Entschädigungszahlungen von Industrienationen an Länder des Globalen Südens. Die Industrienationen – sprich jene reichen Länder, die in der Vergangenheit die meisten Treibhausgasemissionen produziert haben – versprachen schon 2009, den ärmeren Ländern des Globalen Südens jährlich 100 Milliarden US$ zur Verfügung zu stellen, um Anpassungen an die Auswirkungen des Klimawandels zu finanzieren.

Diese Unterstützung mit Beginn 2020 ist auch im Pariser Vertrag festgeschrieben. Ihrem Versprechen sind die reichen Länder aber bis dato nicht nachgekommen. Aktuell steht nur ein Teil der versprochenen Summe zur Verfügung. Nun wurde den Entwicklungsländern ab 2025 die doppelte Summe zugesichert. Laut Expert:innen reicht aber selbst dieser Fonds nicht aus. Die bei der COP diskutierten Ausgleichszahlungen für den Globalen Süden in Höhe von 100 bis 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr sind Peanuts im Verhältnis zu den Folgekosten, die die Klimaerwärmung für unsere natürlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme verursacht. 100 bis 200 Milliarden US-Dollar entsprechen gerade einmal einem knappen 1000stel beziehungsweise einem knappen 500stel des globalen GDP. Bereits im Stern Report 2006 wurde berechnet, dass jährlich ein Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts notwendig wäre, um die schlimmsten Auswirkungen der durch den Menschen verursachten Erderwärmung abzuwenden. Hierin sind Ausgleichszahlungen noch nicht einmal enthalten.

Eine weitere Forderung der Entwicklungsländer auf der COP26: Industrienationen sollen für die Schäden und Verluste aufkommen, welche den armen Staaten in Folge des Klimawandels entstehen. Die Flutkatastrophe im Juli in Deutschland hat gezeigt, wie hoch die Schäden einer Umweltkatastrophe sein können: Die Schadenssumme liegt bei über 30 Milliarden Euro. Ein reiches Land wie Deutschland verfügt zumindest über einen gewissen Spielraum bei der Finanzhilfe, kann Unterstützung beim EU-Solidaritätsfonds beantragen und ein relevanter Teil der Schäden wird durch Versicherungen bezahlt. Diese Leistungen sind in ärmeren Ländern im Globalen Süden nicht verfügbar. Zu diesen Themen hat es lediglich einen Dialog gegeben, konkrete Ergebnisse und Zugeständnisse jedoch blieben Fehlanzeige – ein desaströses Versäumnis, da es die Vertrauensbasis der ärmeren Länder zerstört.

 

Frank Sprenger (Geschäftsführer, Dipl.-Kaufmann)  

Die Rote Karte für Doppelzählungen von Emissionsreduktionen war überfällig – und wurde teuer erkauft.

Lange ersehnt wurde eine Einigung zum freiwilligen CO2-Emissionsrechtehandel. Hier möchte man die internationale Zusammenarbeit stärker fördern. Es wurde ein klares Regelwerk geschaffen, um Kooperationen zwischen Regierungen und Unternehmen zu ermöglichen. Bestehende Schlupflöcher wurden geschlossen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass Doppelzählungen nun verhindert werden können: Die Emissionen können nicht mehr im Land, in dem das Projekt umgesetzt wird, und gleichzeitig in dem Land, welches die finanziellen Mittel zur Verfügung stellt, angerechnet werden.

Zudem wird es keine Gutschriften mehr geben, wenn Wälder schlicht nicht abgeholzt werden. Aber auch bei diesem Thema gibt es leider wieder eine Kehrseite: Einige alte Zertifikate aus der Zeit vor dem Pariser Abkommen werden in das neue System übernommen. Echte Emissionsreduktionen werden dementsprechend erst erreicht, wenn diese Zertifikate aufgebraucht sind. Und nicht nur das: Die Zertifikate-Preise sind aktuell so niedrig, dass sie de facto keine Steuerungswirkung entfalten, und damit keinen Anreiz für eine Emissionsreduktion bieten.
Auch nach der COP26 bleibt eins klar: Kompensation darf nur eine Notlösung sein. Klimawirksame Emissionen zu vermeiden hat die höchste Priorität für jede und jeden von uns. Egal ob auf der unternehmerischen, der politischen oder der individuellen Ebene. Wir müssen akzeptieren, dass dies nicht immer ohne Einschränkungen möglich sein wird.

 


Kathrin Hipp (Expertin für Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen, Dipl. Wirtschaftswissenschaftlerin)  

Auch die Unternehmen sind in der Pflicht. Die Transformation zur Kreislaufwirtschaft muss gelingen.

Was können und was müssen die Unternehmen nun leisten, um das 1,5 Grad Ziel zu erreichen? Für eine ambitionierte Emissionsreduktion braucht es eine fundierte Datenbasis, also eine transparente Erhebung und Kalkulation von allen Emissionen entlang der Wertschöpfungskette – vom Lieferanten bis zum Endkunden. Die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren ist dabei essenziell: branchenintern und -übergreifend aber auch innerhalb des Unternehmens über Abteilungen und Hierarchien hinweg. Durch Wissensaufbau und Sensibilisierung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können Unternehmen außerdem ihre große Hebelwirkung nutzen, über den Arbeitskontext hinaus.

Leider existiert bislang keine gesamtheitliche Erfassung des Beitrags, den die Industrie zur Erreichung der Klimaziele leistet. Zum wiederholten Mal hat sich darum das WBCSD (World Business Council for Sustainable Development) dafür ausgesprochen, einen globalen Rahmen für die Beiträge von Unternehmen (Corporate Determined Contributions, CDCs) zu schaffen. Damit sollen die Fortschritte der Wirtschaft erfasst und die Erreichung ihrer Ziele kontrolliert werden. Genau wie die Länder ihre nationalen Klimaschutzpläne vorgelegt haben, sollte dies auch die Wirtschaft tun – denn die Potenziale sind enorm.

Ein wesentlicher Ansatz für die Industrie ist die Kreislaufwirtschaft. Wenn wir den globalen Kreislaufanteil von aktuell 8,6 % bis 2032 auf 17 % verdoppeln, könnten damit laut CGRi (Circularity Gap Reporting Initiative) im nächsten Jahrzehnt etwa 39 % der globalen Treibhausgasemissionen eingespart werden. Um Material- und Energiekreisläufe in der Industrie zu schließen, braucht es eine zirkuläre Systemgestaltung über sämtliche Wertschöpfungsketten. Eine Vernetzung der wichtigsten Player ist entscheidend, um 1,5-Grad zu erreichen.

 

Matthias Bönning (Geschäftsführer fors.earth capital GmbH, Sustainable Finance Experte)

Einen beachtlichen Hebel im Kampf gegen den Klimawandel halten Investoren in der Hand. Allein, sie nutzen ihn nicht.

 

Die EU-Regulierung zu Sustainable Finance hat die Richtung vorgegeben: Umlenkung von Finanzströmen hin zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen. Zur Umsetzung steht ein zunehmend unübersichtliches Geflecht aus staatlich verordneten Regelwerken, freiwilligen Reporting-Standards und vollmundigen Brancheninitiativen zur Verfügung. Auf der COP26 ist nun eine weitere Initiative auf den Weg gebracht worden: das International Sustainability Standards Board (ISSB).

Das ISSB soll als internationales Gremium weltweit einheitliche ESG-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung entwickeln – Standards, die sich explizit an den Bedürfnissen des Kapitalmarktes orientieren. Nun mag es sinnvoll sein, die Transparenz zur ESG-Performance von Unternehmen weltweit weiter zu erhöhen und Nachhaltigkeitsthemen in der Berichterstattung noch stärker mit den finanziellen Erfolgsgrößen zu verbinden. Es stellt sich aber leider die Frage, ob die konsequente Beachtung von Klimathemen in Investmententscheidungen zum heutigen Zeitpunkt tatsächlich an einer mangelhaften Datenlage scheitert – oder ob schlichtweg der Wille der Finanzindustrie fehlt, klare Veränderungen in ihren (Investment- / Kredit- / Versicherungs-) Portfolios vorzunehmen.

Bereits im April 2021 wurde die Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) gegründet, um einen Übergang zu einer Netto-Null-Wirtschaft zu beschleunigen. In der sektorübergreifenden Koalition haben sich etwa 450 Finanzdienstleister versammelt, die einen substanziellen Anteil der globalen Assets under Management verantworten. Diese Allianz hätte das Zeug dazu, einen enormen Veränderungsdruck auf die Wirtschaft weltweit auszuüben. Doch der Dringlichkeit der Klimakrise wird die Initiative wohl eher nicht gerecht: So halten etwa viele Unterzeichner bis auf Weiteres an Kohlefinanzierungen fest, HSBC zum Beispiel bis zum Jahr 2040. Und so bleibt die Branche sich in Sachen Nachhaltigkeit treu. Oder wie es die Studie „It’s not what you say, it’s what you do” der NGO Reclaim Finance auf den Punkt bringt: „But if words and promises could reverse climate change, the finance industry would already have saved the world.”

 

Steven Bechhofer (Senior Experte Risikomanagement & Compliance, Rechtsanwalt)

Nach wie vor ist globales und koordiniertes Risikomanagement des Klimawandels eine gigantische Herausforderung.

 

Das Ausmaß dessen, was die Menschheit leisten muss, um eine Klimakatastrophe aufzuhalten, aber auch um mögliche Schäden zu bewältigen ist enorm. Jetzt unterbleibende Klimaschutz-Investitionen werden in Zukunft weit höhere Kosten aber auch beträchtliche Umweltschäden und Leid für betroffene Menschen zur Folge haben.

Um endlich einen ersten Schritt in Richtung globale Risikobetrachtungen zu gehen, hat das Insurance Development Forum (IDF) bei der COP26 zusammen mit den V20 („vulnerable twenty“) Finanzministern (siehe https://www.v-20.org/) eine Vereinbarung über den Aufbau eines Programms zur Schaffung von analytischen Risikobetrachtungen auf lokaler und globaler Ebene getroffen. Die „Global Risk Modelling Alliance“ (GRMA) soll aus einer Partnerschaft zwischen privaten und staatlichen Institutionen hervorgehen und dabei analytische Tools, Fähigkeiten und Methoden aus der klassischen Versicherungswirtschaft weiterentwickeln, um aufkommende Risiken aus der globalen Klimakrise transparenter und damit besser begreiflich zu machen. Das Modellierungs-Know-How und die dazugehörigen Daten sollen allen Staaten und Wirtschaftsakteuren durch eine offene Plattform zur Verfügung gestellt werden. Damit würde ein späterer Risikotransfer, z.B. durch die Entwicklung von entsprechenden Versicherungsprodukten (sog. Klimarisikoversicherungen), wirtschaftlich ermöglicht. Der IDF hat außerdem mit den V20 die Gründung einer „Sustainable Insurance Facility“ (SIF) – ein Versicherungsvehikel zur wirtschaftlichen Abfederung von Klimarisiken – verabredet.

Es bleibt abzuwarten, wie schnell die Akteure zusammenkommen, um notwendige Daten, Wissen und Grundverständnisse zur Risikomodellierung zusammenzutragen. Risikomindernde Maßnahmen haben nur dann einen Sinn und können nur dann eine Basis für einen wirtschaftlichen Ausgleich von Schäden voranbringen, wenn es gelingt, die globalen und lokalen Risiken aus der Klimakrise besser zu erfassen und umfassender zu begreifen.