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 | 23.09.2023

Achillessehne Arktis (1/3):
Der Stellenwert der Arktis

 


In unserer dreiteiligen Serie „Achillessehne Arktis” erklären unsere Senior Expertin für Meeresthemen und Biodiversität Prof. Dr. Dr. h. c. Karin Lochte und Meeresbiologe Dr. Alexis Katechakis, warum die Arktis so wichtig ist (Teil 1), welche wirtschaftliche Verlockungen in der Erschließung der Arktis liegen, die wie nachhaltige Chancen wirken (Teil 2) und wie wir die Arktis schützen können – auch damit sie uns schützen kann (Teil 3).

Karin, wir haben so viel Wasser. Warum ist ausgerechnet der Arktische Ozean so wichtig?

Der Arktische Ozean ist ein einzigartig wichtiges Ökosystem, das alles Leben auf dem Planeten beeinflusst. Obwohl es nur 1 % des weltweiten Ozeanvolumens ausmacht, treibt es maßgeblich das globale ozeanische Strömungssystem an, das alle Meere verbindet. Es regelt auch den Polarfront Jetstream, ein Höhenwind, der atmosphärische Muster in Nordamerika, Europa und Asien beeinflusst. Diese haben wiederum großen Einfluss auf die regionalen Niederschlagsmengen und damit auf das verfügbare Süßwasser zum Beispiel für die Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion. Tatsächlich wirkt der Arktische Ozean nicht nur auf das Klima in der nördlichen Hemisphäre, sondern durch die globale Vernetzung von Meeresströmungen und Klimazellen auf das Wetter weltweit. Der Arktische Ozean hat auch einen überproportionalen Einfluss auf den Planeten durch den Albedo-Effekt.  

 

Inwiefern?

Die Albedo beschreibt das Ausmaß, in dem ein Objekt Sonnenstrahlen reflektieren kann. Je heller der Körper, desto höher die Albedo. Das weiße Eis der Nord- sowie der Südpolargebiete hält die Erde durch den Albedo-Effekt kühl, da es einen Großteil der Wärmestrahlung der Sonne zurück in den Weltraum reflektiert. Geht das Eis zurück, vermindert dies den Kühleffekt.
Nord- sowie der Südpolargebiete unterscheiden sich hierbei in wesentlichen Punkten:  
Der Südpol liegt auf einem gebirgigen Kontinent, der mit bis zu Tausenden Meter dickem Eis bedeckt ist. Das abwechslungsreiche Gelände verringert seine Albedo, da die Oberfläche weder gleichmäßig dem Licht ausgesetzt noch konsistent im rechten Winkel geformt ist, um es effektiv zurück in die Atmosphäre zu reflektieren.  
Der Nordpol hingegen liegt im Arktischen Ozean, der nur wenige Meter dick mit Eis bedeckt ist. Wo Eis vorhanden ist, hat die flache Meeresoberfläche eine größere Albedo als das Landeis der Antarktis um den Südpol. Andererseits ist Meereis viel anfälliger für Schmelzen und andere Störungen als Landeis. Durch den menschengemachten Klimawandel ist das Meereis in der Arktis in den Sommermonaten stark zurückgegangen, wodurch sich die Klimaerwärmung weiter beschleunigt.  

 

Um wie viel Prozent ist das arktische Meereis seit Beginn der regelmäßigen Messung 1979 geschmolzen?

Die Meereisfläche im Sommer ist um ca. 50 % geschrumpft und etwa 95 % des dicken, mehrjährigen Eises sind verschwunden. Die arktische Region ist die sich am schnellsten erwärmende der Erde, die sich schon um 2 bis 4°C erwärmt hat. Teile des Arktischen Ozeans sind sogar bis zu 7°C wärmer geworden und es könnte in etwas mehr als einem Jahrzehnt einen eisfreien Sommer im Arktischen Ozean geben, wenn die anthropogenen Treibhausgasemissionen hoch bleiben.  
 

Was hat das zur Folge?  

Wenn das arktische Meereis schmilzt, absorbiert die dunklere Wasseroberfläche mehr Sonnenenergie und erwärmt sich weiter. Die erhöhte Wärme beschleunigt das Schmelzen des Meereises und verursacht auch Verlagerungen oder Blockierungen von Meeresströmungssystemen, was in anderen Regionen zu stärkeren, tropischen Wirbelstürmen und Wetteränderungen in unseren Klimazonen führt. Meereslebewesen wandern auf der Suche nach kühlerem Wasser weiter in Richtung der Pole. Diese Veränderungen bedrohen mittlerweile auch die Lebensgrundlage Hunderter Millionen Menschen.  
Der wärmere Ozean wiederum erwärmt die Luft, die dann auch das nahe gelegene Landeis schmilzt und die Menschheit dem Risiko eines Anstiegs des Meeresspiegels durch massives Abschmelzen des grönländischen Eisschildes aussetzt.  
Mit dem Verlust der Eisdecke und der zunehmenden Erwärmung werden die nördlichen Polarregionen außerdem anfällig für Brände. 2021 haben Waldbrände über 161.000 Quadratkilometer sibirischen Waldes vernichtet, eine Fläche, die größer ist als alle Waldbrände in Griechenland, der Türkei, Italien, den Vereinigten Staaten und Kanada zusammen in dem Jahr. Die so frei gewordenen CO2-Emissionen entsprechen denen der gesamten deutschen Industrie.


Danke Karin. Im zweiten Teil unserer dreiteiligen Serie „Achillessehne Arktis” geht Meeresbiologe Dr. Alexis Katechakis auf die Erschließung der Arktis und wirtschaftliche Verlockungen ein, die wie nachhaltige Chancen wirken.